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Typometrie - ein vergessenes Stück Druckkunst-Geschichte

Ralf Herrmann

Neben Musiknotenblättern erfolgte auch der Druck von Landkarten über lange Zeit vor allem mithilfe des Holzschnittes oder des Kupferstichs. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gab es jedoch auch Versuche, den Bleisatz zum Druck von Landkarten zu verwenden. 

Die Entwicklung dieser Technik geht zu weiten Teilen auf den Diakon August Gottlieb Preuschen (1734–1803) zurück. Anfangs nannte er sie noch Ingénieurie d’estampe, taufte sein System der »Ordnung von geographischen Bildern und Objekten nach geometrischen Regeln und Verhältnissen« dann aber später in Typometrie um. 

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Seine erster Versuch zur Fertigung einer Bleisatzlandkarte fand um 1773/74 statt. Für seine Karte von Sizilien (siehe Abbildung) mussten Kreise als Kennzeichnung von Städten und ein umgedrehtes V als Markierung des Aetna herhalten. Die Umrisse der Insel und die Kennzeichnung der Bezirke wurden im Druck nur durch Sternchen grob angedeutet und nachträglich per Hand zu einer Linie verbunden. 

Ein eher ernüchterndes Ergebnis, von dem sich Preuschen aber nicht abschrecken ließ. Stattdessen suchte er sich einen patenten Mitstreiter, der sich auf Guss und Satz von Schriften verstand. Dieses Partner fand er in Wilhelm Haas-Münch (1741–1800) von der Baseler Haas’schen Schriftgießerei. Haas fertigte eine Satz Typen speziell zur Darstellung von Karten und konnte damit schon beachtlich detailreiche Probekarten abdrucken. 

haasprobe.png

Probedruck von Haas

 

Wie so oft bei neuen Entwicklungen, zeigten sich viele zunächst skeptisch. Im Berlinischen Journal für Aufklärung verteidigt Preuschen seinen »vorläufigen Versuch über die Typometrie«:

 

»Ich werde mich durch die Kritik derjenigen, welche ſich aus dem Grunde gegen die Typometrie erklären werden, weil ſie ihnen fremd ſcheinen wird, und daß dieſe Entdeckung nicht ſchon längſt und von den berühmteſten Mathematikern gemacht ſey, nich außer Faſſung bringen laſſen.«

»Um den Wert dieſer Erfindung herabzuſetzen, und zugleich die beſten Verſuche zu verſchreien, wird man mir vielleicht die Vorzüglichkeit der Kupferſtecherei entgegen ſtellen. Allein wenn ſie gleich den Druck durch ihre Feinheit übertrift; ſo wir der billige Theil des Publikums doch in der Folge den Nutzen der Typometrie, der keineswegs in Betracht der leichtern und vortheilhaftern Ausführung in ſeiner ganzen Ausdehnung, ohne die Regeln der Symmetrie und Präciſion zu übertreiben, geringer iſt, verkennen.«

»Und geſetzt, daß die Typometrie auch nicht bis zum höchſten Grad der Vollkommenheit gelangt; ſo wird ſie dennoch nichts deſto weniger, wegen der geringen Koſten und wegen der verſchiedenen Veränderung, in Abſicht des Formats der Karte, immer wichtig genug ſeyn.«

 

Die Aussichten waren ganz klar verlockend. Genau wie beim Handsatz mit beweglichen Lettern winkten Kostensenkung und Geschwindigkeitssteigerung zur Produktion der Karten und somit auch ein lukratives Geschäft für die Druckereien, die diese Technik meisterten. Es ging wohl weniger darum, den Kupferstich zu überflügeln, sondern ihn mit günstigeren Druckkosten zu schlagen. 

Ein Geschäft witterte auch der Leipziger Verleger Johann Gottlob Immanuel Breitkopf (1719–1794), der ebenfalls mit der Fertigung typometrischer Karten experimentierte und sich alsbald in die Diskussion einschaltete. Er meldete öffentlich Zweifel an Zweckmäßigkeit der Technik an. Denn die Karten lassen sich nun einmal schwer in ein zeilenweises Raster pressen, wie es im Handsatz mit Bleilettern nötig wäre. Irgendwo kommen sich Wege, Flüssen, Berge etc. immer ins Gehege und sind mit einem beschränkten Satz von vorgefertigten Typen nur schwerlich darstellbar. Insbesondere die Größe üblicher Landkarten stellte den Bleisatz vor Probleme. Nichtsdestotrotz experimentiert auch Breitkopf weiter und es begann ein Wettstreit zwischen Basel und Leipzig. 

»Da aber dieſe durch Typen gesetzte Charten vermuthlich nicht wohlfeiler, als die Kupfer geſtochenen, ausfallen werden;  und doch in der Ausführung bey der unterſchiedenen Projection der zu liefernden Charten, ihre großen Schwierigkeiten finden müſſen; ſo wiſſen wir unſers Theils nicht, ob wir aus einem andern Grunde darzu rathen ſollen, als daß ein Denkmal dieſer Erfindung auf die Nachwelt komme.« 

 

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Fantasie-Karte von Breitkopf: Das Reich der Liebe. Zweyter Landchartenſatz-Verſuch. Leipzig, 1777

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Die typometrischen Karten haben schon auf den ersten Blick eine ganz eigene Anmutung. Alles wirkt streng arangiert und gleichförmig. Jedes Objekt hält Abstand zu den umliegenden Objekten. Breitkopf ist besonders bemüht, so nah wie möglich am etablierten Handsatz von Schrift zu arbeiten. So stehen Texte im Vergleich zu normalen Karten niemals schräg auf dem Blatt. Die Problematik der sichtbaren Anschluss-Stellen der einzelnen Bleilettern bei durchgehenden Wegen, Flüssen und Grenzen vermeidet Breitkopf geschickt durch die Punktierung oder Strichelung dieser Linien. 

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Mit der 1777 erscheinenden Carta della Sicilia im Format 60×46 Zentimeter kamen Preuschen, Haas und die Haas’sche Schriftgießerei indes zu großer Bekanntheit. Sie beweist die Tauglichkeit der Technik auch für reale und großformatige Karten. 

Die genaue Vorgehensweise der Fertigung ist nicht belegt. Es ist zu vermuten, dass die Karten zunächst abgepaust und mit einem Rastersystem versehen wurden, um die jeweils nötigen Bleilettern auswählen zu können. Ein strengen Zeilensystem wie im Textsatz war nur schwer durchzuhalten, insbesondere, wenn man Kupferstich-Karten imitieren wollte, in denen Texte auch regelmäßig schräg oder bogenförmig stehen. Dann war der Ausschluss der entstehenden Freiräume besonders schwierig. Die Kegel mussten beschnitten oder freistehend gesetzt und die Zwischenräume ausgegossen werden. 

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Die Carte Typometrique du Canton de Basle (1799) enthält eine Legende, in der sich einige der benutzten Lettern der Karte einzeln betrachten lassen

 

Im Zuge der Napoleonischen Kriege erweist sich der typometrische Kartensatz als äußerst praktisch. Denn er ist nicht nur vergleichsweise schnell und günstig anzufertigen, sondern erlaubt auch jederzeit Korrekturen, wenn sich Grenzverläufe ändern und die Karten neu gedruckt werden müssen. 

Auch bei Didot in Paris wird später typmetrisch gedruckt und in Wien vervollkommnet Franz Raffelsperger im 19. Jahrhundert den Kartendruck in dieser Technik. Doch die Typometrie konnte sich nie auf breiter Front durchsetzen. Um 1800 erfindet Alois Senefelder die Lithographie und schafft damit ein deutlich überlegenes Verfahren zur Vervielfältigung von (selbst farbigen) Bildvorlagen.

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Doch gänzlich tot ist die Typometrie dennoch nicht. Hans Reichels Schriftfamilie FF Routes nimmt das Konzept auf und transportiert es ins digitale Zeitalter. Straßen, Kreuzungen, Brücken und vieles mehr lassen sich als Schriftzeichen eintippen und durch die Verwendung mehrerer Schriftschnitte sind sogar farbige Hinterlegungen möglich. Komplexe Karten lassen sich auf diese Weise freilich nicht herstellen – auch hier stößt man an die Grenzen, mit denen die Tüftler des 18. Jahrhunderts bereits zu kämpfen hatten. 

Die Typografie im Dienste der Landkarte. Eduard Hoffman-Feer. Basel 1969
Zitat Breitkopf: Ueber den Druck der geographischen Charten, Leipzig 1777
Zitat Preuschen: Vorläufiger Versuch über die Typometrie oder das Mittel, geographische Karten nach Art der Buchdrucker zu verfertigen. In: Berlinisches Journal für Aufklärung. 1788-90. 1789 , 4.Bd. , S. 33 - 38
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