Jan Tschicholds Meisterbuch der Schrift erschien Mitte des 20. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit waren fast alle Schriftanwendungen, die nicht mit Druckschriften gesetzt wurden – also zum Beispiel Logos und Schilder aller Art – in Handarbeit als Lettering bzw. Kalligrafie gefertigt. Tschichold war mit der Qualität dieser Arbeit höchst unzufrieden. »Fast alle Schrift die uns begegnet, ist schlecht, ungenügend oder wild. […] Man muß von einem erbärmlichen Tiefstand reden«. Die Ursache sah er in unzureichendem Wissen über Schriftgeschichte bzw. -entwurf und einem »Mangel an guten Vorlagen«. Mit dem Meisterbuch der Schrift wollte Tschichold hier einen Gegenpol setzen. Das Werk richtete sich dabei explizit an Schriftmaler, Grafiker, Bildhauer, Graveure, Lithografen, Verlagshersteller, Buchdrucker, Architekten und Kunstschulen.
Auf den ersten, knapp 50 Seiten gibt Tschichold Einblicke in Schriftgeschichte, Schriftklassifikation und Empfehlungen zum Umgang mit Schrift, etwa zur Zurichtung von Buchstaben und Zeilen oder der Schriftwahl. In typisch tschichold’scher Manier werden die Empfehlung nicht selten wie Gesetze definiert, die keinen Widerspruch dulden.
Darüber hinaus setzt sich Tschichold auch mit einzelnen Buchstaben auseinander. Hier findet sich etwa Tschicholds berühmte und umstrittene These, dass das Eszett auch in gebrochenen Schriften eigentlich eine Ligatur aus ſ und s wäre. Auch äußert er sich zum &, dem ſ in der gebrochenen Schrift (dessen Verzicht er als »Barbarei« bezeichnet), zu Umlauten und zur Unterscheidung von I und J. In der Antiqua wünscht er sich hier ein I ohne Bogen, in den gebrochenen Schriften sieht er in der unterschiedlichen Ausgestaltung der beiden Versalien eine Missgeburt.
Den Rest des Buches machen dann die 176 Schriftmuster-Tafeln aus, in denen Tschichold Alphabete und Anwendungen aus 2000 Jahren lateinischer Schriftkultur präsentiert. Von antiken Inschriften über mittelalterliche Schreibmeister-Blätter bis hin zu modernden Druckschriften des 20. Jahrhunderts erstreckt sich dabei die Auswahl.
Nach der Originalauflage von 1952 wurde das Buch mehrfach neu aufgelegt und auch ein günstiger Reprint des Nikol-Verlages ist erhältlich.
Inhalt
- Vorwort
- Schrift als künstlerische Aufgabe
- Gute und schlechte Buchstaben
- Die älteren Schriftarten
- Die neueren Schriftarten
- Klassizierung und Benennung der Hauptschriftarten
[*]Der Umgang mit Großbuchstaben
- Der Wortabstand in Großbuchstabenzeilen
- Der Zeilenabstand von Großbuchstabenzeilen
[*]Der Umgang mit Kleinbuchstaben
- Der Wortabstand in Kleinbuchstabenzeilen
- Der Zeilenabstand von Kleinbuchstabenzeilen
[*]Die Wahl der richtigen Schrift
[*]Die Anordnung von Schriftgruppen und Schildern
- Schöne Schildproportionen
[*]Einzelheiten
- Über Herkunft und Form des ß
- Das lange ſ der gebrochenen Schriften
- Von &-Zeichen
[*]Über die Umlaute und den Unterschied zwischen I und J
[*]Tafeln
[*]Bemerkungen zu den Tafeln
[*]Verzeichnis der Schriftarten und Künstler
- Klassizierung und Benennung der Hauptschriftarten
Autor(en): Jan Tschichold
veröffentlicht: 1952
Verlag: Otto Maier Verlag, Ravensburg
Sprache: , deutsch,
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