Nicolas Jenson (*1420–1480) stammt aus der Gemeinde Sommevoire im Nordosten Frankreichs. Er absolvierte eine Lehre zum Goldschmied in der königlichen Münzstätte in Paris und wurde später Münzmeister der Stadt Tours. Bei Gutenberg in Mainz schaute er sich später die damals neue, revolutionäre Kunst des Drucks mit beweglichen Lettern ab. Ab 1468 ist sein Wirken als Drucker, Verleger und Schriftschneider in Venedig belegt. In den 1470er-Jahren erscheinen die ersten Werke in seiner Antiqua. Sie werden zu archetypischen Formen der humanistischen Druckschrift-Antiqua, wie sie bis heute in Verwendung ist. Die Jenson-Schrift hat ihre Wurzeln zwar klar in der Handschrift, aber imitiert sie nicht bloß, sondern schafft das harmonisch-gleichmäßige Schriftbild, das wir heute von Leseschriften erwarten.
Die Antiqua von Jenson übernimmt in der Folge eine Vorbildfunktion für viele Schriftschneider und bildet auch die Basis für die meisterliche Weiterentwicklung durch Francesco Griffo, die 25 Jahre später erfolgte.
William Morris erweckt die Antiqua von Jenson Ende des 19. Jahrhunderts zu neuem Leben. Nach dem Schnitt seiner »Golden Type« wächst die Begeisterung für die frühen venezianischen Antiqua-Schriften und verschiedene Anbieter bringen Schriften in diesem Stil heraus. Zu den bekanntesten Jenson-Interpretationen zählen die Centaur (1914) von Bruce Rogers und Cloister Old Style (1926) von Morris Fuller Benton. Mit der Etablierung des Desktop Publishings macht sich Robert Slimbach in den 1990er-Jahren bei Adobe noch einmal an eine Neuinterpretation, die von Anfang an auf die neue Satztechnik abgestimmt ist.
Für die 1996 erschienene Adobe Jenson studierte Slimbach den ersten Druck der Jenson-Antiqua im Werk »De evangelica preparatione«. Aus fotografischen Vergrößerungen wurde ein Buchstaben-Katalog mit Varianten jedes Buchstabens erstellt. Auf diese Weise ließen sich druckbedingte Abweichungen von der Originalform aufspüren. Das Design wurde im Sinne heutiger Lesegewohnheiten stilisiert und nicht sklavisch digitalisiert. Auch die Proportionen der Klein- und Großbuchstaben wurden angepasst.
Zur Antiqua eine passende Kursive zu schaffen, war zu Jensons Zeit noch nicht üblich. Slimbach wählte die im 16. Jahrhundert geschaffene »Cancellaresca formata« von Ludovico degli Arrighi als Vorlage, passte sie aber deutlich der aufrechten Antiqua an. Anschließend wurden für beide Schnitte nicht nur Masterzeichnungen für eine Interpolation der Strichstärken angelegt, sondern auch die optischen Größen manuell gezeichnet. »Es war eindeutig das herausforderndste und zeitaufwändigste Projekt, das ich je unternommen habe« resümierte Slimbach später.
Nach der Umstellung auf OpenType wurden die Multi-Master-Versionen der Adobe Jenson eingestellt und die Familie ist nun in 32 Einzelschnitten erhältlich: 4 Strichstärken (light, regular, semibold, bold), 4 optischen Größen (caption, regular, subhead, display), jeweils als aufrechter und kursiver Schnitt. Die Pro-Version verfügt dabei über 756 Glyphen in lateinischer Belegung.