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politische typografie

Empfohlene Beiträge

hallo,

ich recherchiere zurzeit für meine diplomarbeit und bin auf der suche nach material zum thema schrift und politik. das naheliegenste ist sicherlich die verwendung von gebrochenen schriften durch die nazis und die damit bis heute andauernde deutsch-nationalistische konnotation die sie ausstrahlen. ich suche allerdings auch nach beispielen aus dem linken spektrum. die frage ist, gibt es weitere typische politische schriften, schriften die sich eindeutig einer politischen richtung oder zeit zuordnen lassen? Oder gibt es anwendungsbeispiele (sicherlich plakate) in denen schrift ganz typisch eingesetzt wird?

kennt jemand solche beispiele, oder hat einen guten buchtipp?

viktor.

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Sicherlich ein spannendes Thema, aber ich denke, dass Politik immer nur zu einem minimalen Teil in die Schriftwahl einfließt, so dass sich da kaum echte Schlüsse ziehen lassen. (Prägnant sind eher politisch bedingte Änderungen der Schriftsysteme, z. B. die Entwicklung der kyrillischen Schrift, die Einführung der Antiqua in der Türkei etc.)

Schon der immer wieder angeführte Nazi-Fraktur-Zusammenhang ist im Grunde Unsinn. Freilich haben die Nazis gebrochene Schriften verwendet – sie waren ja einfach die Standardschrift der Zeit und Region – das aber auch schon Jahrhunderte zuvor. Die Fraktur ist ihrem Wesen nach völlig unpolitisch.

Auch heute könnte man die Schriftwahl von CDU und PDS gegenüberstellen und daraus inhaltliches ableiten. Da wäre aber sicher sehr gewagt, zumal zu beobachten ist, dass selbst der durchgehende Einsatz einer Schrift bei Parteien eher die Ausnahme ist.

Ralf

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Es handelt sich dabei sicherlich immer um Klischees bzw. eine bedauerliche Prägungen, wie bei dem Fraktur-Nazi-Zusammenhang. Aber genau solche „Bilder“ suche ich. Es geht mir nicht um technische oder strukturelle Veränderungen, sondern um die visuelle Wirkung von Schrift. Ich sehe die Fraktur auf einem Plakat und denke sofort an eine bestimmte Zeit. Ich sehe ausgeschnittene, grelle Typo und denke an Punk. Die Schrift als solche ist in den meisten Fällen sicherlich unschuldig. Aber wofür sie ge- oder missbraucht wird ja nicht unbedingt. Gibt es da eindeutige politische Beispiele (neben den schon erwähnten)?

Eine weitere interessante Frage ist: Gibt es überhaupt Schriften die mit der Intention entworfen wurden, eine bestimmte Ideologie zu verkörpern? Oder Schriftdesigner die so arbeiten? Die Schriften der Renaissance - ja. Jonathan Barnbrook – ja.

viktor

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Die »Bilder«, die du beschreibst entstehen doch aber hauptsächlich durch Typografie und Gestaltung, nicht durch die Schriftwahl. Mit einer Fraktur kannst du ein Nazi-Plakat, ein Werbeanzeige für Nike oder sogar ein Punkplakat gestalten – es kommt nur darauf an wie du die Schrift einsetzt. Der nakte Form der Lettern allein ist völlig unpolitisch – fast immer aber (teils unfreiwillig) ideologisch geprägt, vom frühen Mittelalter bis zum Bauhaus.

Ralf

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Mhh, ja… aber die Schriften des Bauhauses z.B. sind ja auch aus einer gewissen Idealvorstellung entstanden und als solche durch ihren konstruierten, klaren Charakter gekennzeichnet und bis heute zu erkennen. Die Bandbreite von Schriften reicht von extrem neutral/funktional bis zu illusrativ/wertend (je nach Intention des Entwerfers). Ein großer Teil dessen, was wir als Charakter einer Schrift ansehen, kommt sicherlich durch die Gestaltung und den Kontext in dem sie verwendet wird. Und ich bin genau auf der Suche nach Schriften die für solche Sachen/Werte wie Revolution, Aufbegehren von Unten, Umbruch, „linke“ Ideale, etc. stehen. Fallen dir (oder den anderen) dazu Beispiele ein? (Vielleicht habe ich mich etwas umständlich ausgedrückt, aber ich wollte die Sache erstmal so allgemein wie möglich halten)

Viktor

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Da hast Du Dir ja so einiges vorgenommen. Allerdings fehlt mir ein wenig der Glaube an Erfolg (ich laß mich aber gern eines besseren belehren). Sicherlich hast Du recht mit der Behauptung, daß Frakturschriften die Menschen in Deutschland an die Nazizeit denken lassen. Wobei das auch tendenziell rückläufig ist, wie ich mal gelesen habe.

Mit "linken Schriften" wirst Du aber wahrscheinlich weniger Glück haben. Denn Schriften kann man eher einer Zeit zuordnen. Beispiel: in den 20er und 30er Jahren sahen die Plakate der NSDAP, der KPD etc. ziemlich ähnlich aus. Selbst die Plakate der UdSSR hatten eine verfleichbare Optik. Auch die Plakate der Parteien in den 50ern ähneln sich untereinander sehr. Vielleicht hast Du ja bei den 68ern mehr Glück.

Bauhaus war sicherlich ein gutes Beispiel, aber die Bauhaus-Szene umfaßt ja das gesamte Spektum links der Nazis. Und von daher auch eher zeit- als ideologiebezogen.

Auf alle Fälle viel Glück, auch wenn ich nichts dazu beitragen konnte.

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Ich war komme gerade aus der RAF Ausstellung (in den Kunstwerken, Berlin) und hatte mir davon auch etwas Inspiration erwartet. Leider habe ich zwei Stunden gerade mal eine Etage geschafft. Das war noch nicht so ertragreich.... bis auf das eine,längst vergessene Plakat: "Alle reden vom Wetter" .... nur Marx, Engels und Lenin.

Falls noch jemandem ein gutes Buch zum Thema einfällt, wäre ich für einen Tipp sehr dankbar.

viktor

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  • 3 Wochen später...

Ich denke durchaus, daß es gerade derzeit so etwas wie eine typographischen Betrachtungswinkel politischer Repräsentanz geben kann, auch wenn die Betrachtung eher ist, daß es eben KEINE spürbaren Unterschiede gibt... was eben ganz gut zu dem tatsächlichen politischen Stand der Dinge zu passen scheint.

Die meisten Parteien, mehr und mehr zu substituierbaren Gütern geworden, versuchen sich über professionelles Marketing und Design am Markt zu plazieren wie Konsumartikel-Marken eben auch. Solche Brandingstrategien sind bei großen Parteien in etwa ebenso komplex undgremienbehaftet wie bei großen Markenartikeln auch, zumal die Zielgruppen noch diffuser sind.

So wundert es kaum, daß SPD und CDU (mal wieder) fast identische Schriften verwenden, die Thesis und Kievit sind in der Anmutung schon verdammt ähnlich, beide sollen Modernität mit Wärme ausstrahlen und die Agenturen haben wohl auch Wert auf solide ausgebaute, professionell anwendbare Schriftfamilen gelegt. Die FDP wirkt typographisch entgegen dem eigentlichen Anspruch der Partei gegenüber den beiden großen Parteien eher verstaubt (und rein vom Schriftbild her gerade im aktuellen Wahlkampf in NRW nah dran an der PDS (beide Helvetica), die ihrerseits im Gesamtauftritt rot-weiß und mit der Futura im Logo daherkommt wie die SPD der 70er, vielleicht auch nicht gaaaaanz unbeabsichtigt), die Grünen hingegen haben mit der Serpentine eine Typo, die an eine seltsame Mischung aus Öko-Bäckerei und 90er-Jahre-Techno-Flyer gemahnt und einfach nur noch unerträglich schlecht ist, was frisch und modern wirken soll, ist de facto eher anbiedernd und pseudo-jung. Der inhaltliche Spagat der Partei ist hier fast greifbar, ebenso der Versuch, sich modern zu geben, ohne es faktisch noch zu sein. Die Grünen sind keine junge Partei mehr und man merkt es eben. Das auf den Plakaten derzeit eine Art Warnschild-Look à la Rasen betreten verboten gewählt wurde, gehört für mich zu den Treppenwitzen der politischen Kommunikation einer Partei, die genau gegen die deutschtümlerische Mentalität solcher Gebotsschilder einmal rebelliert hat.

Im großen und ganzen treten gerade die beiden großen Volksparteien heute in einem typographischen Einheitslook auf, der sich aus dem Etablierten der normalen Werbesyntax ableitet. Das ist auch durchaus in Synch mit den ebenso waschmittelartigen Claims und Slogans der Parteien und der Art von People-Photographie, die wir präsentiert bekommen. Der kleinste gemeinsame Nenner eben. SPD und CDU verkaufen ihre Politik wie Joghurthersteller einen neuen Milchdrink. Und weil man eben nicht nicht kommunizieren kann, trifft eben auch schlechte Kommunikation eine Aussage... und genau die ist derzeit relativ interessant. Anhand der Werbung allein der beiden großen Volksparteien läßt sich sicherlich einiges über den Status Quo deutscher Politik ablesen.

Was den Faschismus angeht, so ist Hitler einer der ersten (nach den Römern und ansatzweise Karl dem Großen), der so konsequent das durchsetzte, was wir heute als Corporate Design bezeichnen würden. Vieles von dem, was heute noch das (oft unselige und inzwischen kritiklos übernommene) CD-Denken prägt, findet man eben 1:1 auch im Faschismus: Hausfarbklima (schwarzweißrotbraun), Schriftbild (Fraktur), Photosprache (Riefenstahl), Architektur (Speer).

Die Ideen sind die gleichen. Es geht um die Gleichschaltung der Massen für ein (wie auch immer geartetes) Ziel, es geht um hierarchisch gesteuerte Kommunikation. Ob das Ziel dann der Endsieg ist oder nur ein höherer Produktionsoutput im nächsten Quartal... das ist fast Detail. Coporate Denken hat oft im Ansatz einen totalitären Zug, auch wenn ich damit keinen Vergleich zwischen Faschismus und normalen Industriefirmen von heute treffen will. Ein von oben aufoktroyiertes nonevolutionäres CD aber ist nach wie vor einfach schnell sehr nahe an einer faschistoiden Syntax. Der Zweck mag ein ganz anderer sein, die Mittel sind sehr ähnlich.

Bei der Schrift ist es eben so, daß die Faschisten eine neue Schrift für ihre «neue Zeit» wünschten, analog zur Französischen Revolution, in der ja auch ein neues Zeitalter durch neues Kalendarium etc. repräsentiert wurde. Wunsch war, eine runenartigere Schrift zu finden, die «germanischer» wirkt. Was dabei herauskam, die neue Welle der Frakturschriften und die Sütterlin-Handschrift, grieft aber in Wirklichkeit zumeist auf die Schwabacher zurück, die nicht ohne Grund oft als Judenletter bezeichnet wurde... sie wurde ursprünglich von jüdischen Buchdruckern entwickelt. (Diese Tatsache ist inzwischen stark umstritten, aber Reichsleiter Martin Borman erließ am 3.1.41 den Erlaß, die gotischen Schriften durch herkömmliche Antiqua-Schriften zu ersetzen). Ein weiterer Grund, warum die Nationalsozialisten den Schrift zurück zur ehedem als «nicht arisch» empfundene Antiqua-Form machten ist angeblich die Lesbarkeit-Problematik in den besetzten Ländern... das Corporate-Design-Konzept ließ sich hier wohl einfach nicht konsequent durchhalten, die meisten Aushänge in Polen und anderen Gebieten waren ohnehin schon längst wieder in «gewohnteren» Schriftformen gesetzt.

(http://eldorado.uni-dortmund.de:8080/bi ... fister.pdf)

Ursprünglich ist die Frakturschrift keineswegs deutsch-national geprägt, sondern einfach eine ästhetisch recht spannende historische Variante auf dem Weg zu dem, was sich heute als «Bewährt» durchgesetzt hat. Sozusagen ein Irrläufer der Typo-Evolution oder eine Art typographisches Gegenstück zum Betamax-Videotape. Interessante Technik, hat sich aber nicht durchgesetzt.

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... grieft aber in Wirklichkeit zumeist auf die Schwabacher zurück, die nicht ohne Grund oft als Judenletter bezeichnet wurde... sie wurde ursprünglich von jüdischen Buchdruckern entwickelt.

Das halte ich schlicht für weder beweisbar, noch tatsächlich historisch fundiert; Bestenfalls polemisch und polarisierend. Die Schwabacher hat eine verdammt lange Tradition und es ist keineswegs eruierbar, daß der erste Stempelschneider dieser Type der jüdischen Religion angehangen hätte. Vielleicht war er Moslem oder Buddhist...? Jedenfalls wird er auf Ewig unbekannt bleiben, wie auch der Name dieser Schrift an sich völlig willkürlich gewählt wurde. Austauschbar. Beliebig.

Hoch lebe die Syntax.

[preusss]

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Es geht ja nicht darum, ob es historisch so ist – ich verweise ja auch darauf, daß das inzwischen stark angezweifelt werden kann, da der Ursprung der Schwabacher nicht völlig definiert ist und mehrere Quellen unterschiedliche Schneider als den «Erfinder» angeben – aber Bormann gab eben diesen Grund an, um zu veranlassen, sämtliche Publikationen wieder auf Antiqua-Form umzustellen.

Die Diskussion darüber, ob diese Abwendung von der Blackletter-Form tatsächlich begründet ist oder ob Bormann dies nur vorschob geht inzwischen in die Richtung, daß es nur ein Vorwand war, soweit ich weiß. Die meisten Texte, die ich kenne, verorten die prinzipielle Entstehung im französischen Raum, aufgekommen in Deutschland um 1470 in Augsburg, und etwa ein Jahrhundert nach der Entstehung der Schrift wurde ihr der Name Schwabacher in Nürnberg gegeben... Historisch unwahrscheinlich, daß zu der Zeit viele Druckereien jüdisch waren (Zunftverbot), wie es in Frankreich aussah, weiß ich tatsächlich nicht.

Beide Umstände – Ursprung und die Frage nach dem wahren Grund des Wechsels zurück zur «normalen» Buchstabenform – waren und sind immer mal wieder auf Typophile heftigst diskutiert und meines Wissens gibt es nach wie vor keine ganz definitive Antwort. Oder? Immerhin hast du selbst mal mit der Fleischmann Gotisch eine Fraktur gebaut und bist sicher besser im Bilde als ich, klare Sache.

Die Debatte zeigt aber schon, daß in dem Thema Typo-im-Dritten-Reich schon noch Musik steckt und man da eigentlich ordentlich was abarbeiten könnte.

Mir persönlich gefällt die Idee aber zugegebenermaßen auch irgendwie, daß irgendwelche Neonazis sich fröhlich die Haut mit Buchstaben tätowieren, die jüdischen Ursprungs sind. Gerne dann auch meinethalber muslimischen Ursprungs :-D.

Irgendwie hat das was.

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Ah, PS:

Um mal wieder zum Thema nformation zu politischer Typographie zu kommen:

Eine gute Informationsquelle zur Fraktur im Kontext Schrift und nationale Identität gibt es in Peter Bains und Paul Shaws Blackletter: Type and National Identity. Meines Wissens nach gab es im Umfeld der Ausstellung und in der Monographie dazu von Ende der 90er auch einen Text der stets lesenswerten Yvonne Schwemer-Scheddin zu diesem Thema. War Willberg nicht auch dabei?

Ich kann mich auch erinnern, daß die Emigre sich dem Thema der (kurzen) postmodernen Renaissance der Fraktur-Form gewidmet hatte, muß auch so Mitte/Ende der 90er gewesen sein. In Typography Now I oder II sind auch entsprechende Beispiele für moderne Ansätze, mit der «German Gothic» zu arbeiten.

Allein mit diesem Thema kann man sicherlich gut eine Arbeit gestalten.

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Die gebrochenen Schriften an den Nazis festzumachen, ist ein altes aber nicht aus der Welt zu schaffendes überholtes Vorurteil.

Auch die Kommunisten und alle anderen gesellschaftlichen Gruppierungen benutzten die gebrochenen Schriften. Vor allem die Fraktur war die häufigste. Und heute benutzt sie zum Glück bspw. auch sehr häufig die junge Mode (und alles ohne rechte Gesinnung) und schafft es vielleicht endlich diesen unbegründeten Ruf loszuwerden. Bsp. David Beckham, Esprit, And1, Karl Khani usw...

Dass die Nazis später Gegner der gebrochenen Schriften waren und diese sogar abschafften, interessiert heute niemanden mehr im Klischee: "Gebrochene Schriften = Assoziation Nazi".

Man tut den mehrere Jahrhunderte alten schönen Schriften sehr Unrecht, wenn man sie fälschlicherweise darauf verengt.

Selbst bei der von manchen als "Schaftstiefel Grotesk" verunglimpften Tannenberg lässt sich streiten, ob dies nicht eine zeitgemäßer Versuch war, auch bei der Frakturschrift wie überall eine Endstrichlose zu schaffen.

Man tut den mehreren Jahrhunderte alten schönen Schriften sehr Unrecht, wenn man sie fälschlicherweise mit unbegründeten Klischees verengt.

Viele Grüße

Thomas

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