Norbert P Geschrieben September 1, 2006 Geschrieben September 1, 2006 Georg Bleisetzer hat gerade in einem andern Thread einen (zumindest für mich) wichtigen Punkt angesprochen - zu oft geht's beim Grafikddesign um Weißraum und Grauwert, selten genug um Lesbarkeit. Ich kenne (und schätze ansonsten) z. B. Designer, die tolle Layouts machen, aber es unbedenklich finden, die Texte (Univers Condensed!!!) in diesem Layout dann 7,8/9,2 pt zu "setzen". Dann schätze ich diejenigen für den Moment nicht mehr so sehr ... Aber wie begegnet man diesem Pseudotrend? Schriften einsetzen oder entwerfen, die besser lesbar sind, auch in kleinen Graden (das wäre dann wohl die Bell Gothic)? Aber auch das führt dann womöglich zu ähnlichen "Kreationen" wie bei Gräfe und Unzer, dem allseits bekannten und beliebten Ratgeberverlag: Weil die Minion eine "höhere" Mittelhöhe als z.B. eine Garamond hat, wird sie konsequent in 9 pt eingesetzt. Nun macht GU aber hauptsächlich Kochbücher, und die sind immer mindestens eine Armlänge entfernt, wenn sie gelesen werden. Aber größer als 9 pt geht nicht, wegen dem ganzen Corporatequatsch. (Nun ist es zwar schon eine Zeit her, dass ich aktiv mit einem GU-Layout zu tun hatte, aber die Bücher sind immer noch unsäglich unleserlich gesetzt). Oder macht man's wie Ueberreuter, die auf "Großdruckausgaben" setzen? Seit wann gilt eigentlich nicht mehr: "Form follows Function"? Und seit wann ist 10/12 pt spießig?
Ralf Herrmann Geschrieben September 1, 2006 Geschrieben September 1, 2006 Seit wann gilt eigentlich nicht mehr: "Form follows Function"? Und seit wann ist 10/12 pt spießig? Tja, da gibt es schon lange zwei verbissene Lager, die sich einfach nicht verstehen. Die einen sagen, Gestaltung und Typografie sind dienende Künste im Sinne ihrer gestellten Aufgabe – die anderen sehen die Gestaltung als Selbstzweck. An Gestaltungs-Unis konzentriert man sich meist eher auf letzteres. Dort ist das auch gut so, aber später im Beruf machen dann viele eben einfach munter weiter. Und wenn die Mode in der Gestaltung gerade kleine Schriften sind (das sieht so schon »edel« aus), dann macht man das eben so. Dass die Oma dann draufgeht, weil sie wegen der zu kleinen Schrift zur falschen Medizinflasche gegriffen hat, ist dann Pech. Gleiches gilt für die Rechtschreibung: Zwiebel Suppe steht in zwei Zeilen auf der Verpackung. Die Vertreter der einen Gruppe wollen da einen Bindestrich. »Muss so! Heißt so!« Die andere Gruppe sagt: »Nee, das sieht nich!«. Einigung ausgeschlossen. Ralf
Norbert P Geschrieben September 2, 2006 Themen-Ersteller Geschrieben September 2, 2006 So, nun werde ich mich also mal auf eine Seite schlagen: Gestaltung als Selbstzweck ist Freie Kunst. Punkt. Wer das ernsthaft anstrebt, soll es studieren, unterrichten oder leben. Doch da mangelt es bei so manchem an einer ehrlichen Selbstwahrnehmung. So manche Hochschule entlässt Jahr für Jahr junge Menschen, die ihren Beruf (!) nicht wirklich gelernt haben. Also: Alle bleiben bitte bei ihren Möglichkeiten. Heino singt auch keine Opern. Grafik Design (altdeutsch: Gebrauchsgrafik) entsteht per se durch einen Funktionsauftrag. Niemand entwirft freiwillig Tomatensuppendosenetiketten, schon gar nicht, weil er der Nachwelt seine Sicht der Dinge erhalten will. So weit ich mich erinnern kann, waren Tomatensuppendosen nur einmal Kunst, und das auch von Anfang an. Und dort, wo Design Kunst wird (was man ja auch immer erst im Nachhinein weiß), also vom Braun Rasierer über die Futura bis zu Art-Deco-Stühlen, ging es in erster Linie um Funktionsgegenstände. Da hat sich auch niemand gedacht: Ich mach jetzt mal was irrsinnig Schönes, ist mir doch egal, ob das wer braucht. Zitronenpressen, die nicht funktionieren (aber immer wieder fotografiert werden), hat erst der völlig überschätzte Philippe Starck entworfen.
Bleisetzer Geschrieben September 2, 2006 Geschrieben September 2, 2006 Joh, joh. Die Herren Studiosi.. Irgendwo ist es Luxus, sich Gestaltung als Selbstzweck leisten zu können. Schön, wer das kann. Ich habe nicht studiert, sondern den Beruf Schriftsetzer gelernt und in diesem habe ich dann lange Jahre im Blei- und dann im Fotosatz gearbeitet. Damals wie heute sind die Betriebe im Graphischen Gewerbe Dienstleister. Und die Frage, die Ihr hier diskutiert, stellt sich einem Dienstleister ganz einfach nicht. Bzw. ist die Antwort von vornherein klar. Aber wie gesagt: Es ist wirklich ein schöner Umstand, das anders sehen zu können. Georg
Poms Geschrieben September 2, 2006 Geschrieben September 2, 2006 Als Dienstleister im Bereich "Grafik", kann man aber nicht auf Haltung und Stil verzichten, sonst ist es schnell aus mit dem Geldverdienen. Also wie immer "die goldene Mitte" - hier zwischen Gebrauchsgrafik erstellen und freakin' out. @thread es geht doch gerade Trendmäßig wieder in Richtung größerer Schriftgrade für Copytext oder irre ich mich? Ein Ausgangspunkt für die Minimalgrößen ist bestimmt, das gewollte Neutralisieren des Schriftcharakters - das Text wie Faksimiletext funktioniert - in Richtung eines * reinen, leicht handlebaren Gestaltungselements. Zweite These; Wenn es nichts zu sagen gibt (dürftige Informationstiefe, blabla), warum soll man dies dann gut lesen können (siehe *). Es ist ja nicht nur die Schriftgröße, da spielen viele andere Faktoren mit hinein, die zusammen Harmonie und Lesevergnügen erzeugen.
Bleisetzer Geschrieben September 2, 2006 Geschrieben September 2, 2006 Als Dienstleister im Bereich "Grafik", kann man aber nicht auf Haltung und Stil verzichten, sonst ist es schnell aus mit dem Geldverdienen. Also wie immer "die goldene Mitte" - hier zwischen Gebrauchsgrafik erstellen und freakin' out. Ich sehe da keine Widerspruch. Martin Z. Schröder würde sich ab einer bestimmten Grenze weigern, Kundenwünsche zu realisieren. Das weiß ich. Ich selbst habe mich schon geweigert, Bleisatz-Schriften zu verkaufen, weil mir überhaupt nicht gefiel, was der Käufer, ein "Künstler", damit machen wollte. Natürlich muß die Persönlichkeit auch die Arbeit prägen. Ein Ausgangspunkt für die Minimalgrößen ist bestimmt, das gewollte Neutralisieren des Schriftcharakters - das Text wie Faksimiletext funktioniert - in Richtung eines * reinen, leicht handlebaren Gestaltungselements. Diesen Satz habe ich ganz einfach nicht verstanden und bitte um Erläuterung. "Neutralisieren des Schriftcharakters"? Wo liegt der Sinn darin, den Charakter einer Schrift, die ich für eine Gestaltung verwende, zu neutralisieren? Oder, anders gefragt: Wenn dies sinnvoll ist, wozu bemühen sich dann Typographen überhaupt eine Schrift zu entwickeln. Sie müßten ihr doch eher ihre Charaktereigenschaften "wegzüchten", also sie von vornherein neutral aufbauen. Das würde in einer Neutral-Schrift enden wie in einer Singularität. Nichts käme mehr hinaus. Ich dachte bisher immer, gerade durch den Einsatz einer Schrift will ich mit deren Charakter meine Gestaltung verstärken. Wozu sonst die häufigen Fragen hier "Welche Schrift paßt zu XYZ, heheeeheeheee". Georg
Norbert P Geschrieben September 2, 2006 Themen-Ersteller Geschrieben September 2, 2006 kann man aber nicht auf Haltung und Stil verzichten Keine Frage: Gerade um Design gut funktionieren zu lassen, braucht man Haltung, Stil etc., ohne wird's irgendwas mit Comic Sans. Aber wenn es nur um funktionsloses "Das-kann-ich-das-bin-ich"-Gestalten geht (Text als Grauwert), dann ist es allerhöchstens Kitsch. Denn für Kunst braucht's schon eine wahrhaftigere Begründung. Aber das wird man dann erst in ein paar Jahren bemerken, und dann ist's ja eh zu spät. Und dass ein Text/Autor mal nichts oder nur dummes Zeug zu sagen hat, sollte doch eigentlich den Gestalter nicht kümmern, oder gibt's jetzt schon Pflichtkurse "Lektorat/Redaktion" in der Ausbildungsverordnung?
Bleisetzer Geschrieben September 2, 2006 Geschrieben September 2, 2006 Und dass ein Text/Autor mal nichts oder nur dummes Zeug zu sagen hat, sollte doch eigentlich den Gestalter nicht kümmern, oder gibt's jetzt schon Pflichtkurse "Lektorat/Redaktion" in der Ausbildungsverordnung? Naja, würde man all den blühenden Unsinn, den die Printmedien täglich in peristaltischem Gewürge auf die Menschheit wirft, nach einem solchen Kriterium bewerten, gäbe es ja kaum noch was zu lesen.. Georg
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