Pachulke Geschrieben Januar 26, 2008 Geschrieben Januar 26, 2008 Ich frage mich, da ich ja systembedingt bisher nur mit Postscript- und Truetype-Schriften zu tun hatte, wie man solch beeindruckend umfangreiche OT-Schriften satztechnisch nutzbar macht. Man kann ja schlecht jedes Zeichen einzeln mit PopChar zusammensuchen. Hat man dann ein OT-Schema am Tenakel hängen um zu navigieren oder wie sonst geht man damit um?
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 26, 2008 Geschrieben Januar 26, 2008 Das wird über sogenannte "Opentype-Features" erledigt. Es gibt eine Liste an möglichen Features, die die Entwickler des Opentype-Formates (Adobe und Microsoft) definiert haben (und die weiter wächst). Die findest du (auf englisch) hier. Nicht alle diese Features werden von aktuellen Programmen unterstützt. Am besten ausgebaut sind derzeit die Adobe CS3-Programme, aber schon ab CS1 sind die wichtigsten Sachen präsent. Ein solches feature ist z.B. das Minuskelziffer-Feature (kurz ONUM für oldstyle numerals). Der Schriftgestalter (oder besser der Schriftprogrammierer) definiert, was dieses Feature genau machen soll. Im Falle von ONUM definiert er z.B. "ersetze die nomalen Ziffern 0-9 durch die alternativen Minuskelziffern" sub zero by zero.onum; sub one by one.onum; sub two by two.onum; ... (in Wahrheit macht man das ein wenig anders, aber das ist die einfachste Variante und für die Erklärung gut genug.) Markierst du nun gewöhnliche Ziffern in einem Opentype-fähigen Programm (Indesign, Illustrator, xPress 7, ...) und aktivierst das entsprechende Feature, befolgt das Programm die Anweisungen, die der Programmierer hinterlegt hat, und ersetzt die Einsen durch Minuskel-Einsen, die Zweien durch Minuskel-Zweien, etc. Tatsächlich ersetzt es nur das Erscheinungsbild des Zeichens, es bleibt also weiterhin gespeichert dass es sic hierbei um eine Eins handelt. Das ist z.B. beim Feature "LIGA" (Ligaturen) wichtig, da, würde die Kombination "ffl" tatsächlich durch eine ffl-Ligatur ersetzt werden, ein Rechtschreibprogramm damit Probleme bekäme. Stattdessen bleibt die Information "f" "f" "l" stehen, gezeigt wird aber stattdessen die Ligatur. Über diese Features steuert man eigentlich das ganze Aussehen des Textes, man setzt also nicht mehr Sonderzeichen aus Expert-Schnitten in den Text ein, sondern lässt den Text mehr oder weniger in seinem Urzustand, ändert aber sein Erscheinungsbild z.B. werden statt der Kleinbuchstaben bei aktiviertem SMCP-Feature Kapitälchen angezeigt, bei aktivierten stilistischen Alternativformen (SALT) wird z.B. das einstöckige g verwendet statt das zweistöckige – wenn der Schriftgestalter das so hinterlegt hat.
ThierryM Geschrieben Januar 26, 2008 Geschrieben Januar 26, 2008 was ich mich schon seit einer weile frage: wie kommt es, dass auch im jahr 2008 nur eine handvoll programme diese opentype-features unterstützen? ist es so aufwändig, das in die meistverbreiteten textverarbeitungsprogramme zu integrieren? oder spart man sich die mühe einfach, weil das interesse bei otto normal-word-nutzer gleich null sein dürfte? dabei schenkt ihm microsoft sechs schöne opentype-schriftarten … bye thierry
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 Ich denke das Interesse und Bewusstsein ist wirklich gering, das Thema Detailtypografie an sich komplex (schwierig zu verstehen, somit schwierig nachzuvollziehen wofür diese neuen Features gut sein sollen), und die Integration wirklich nicht so einfach. Mit Glyphen-Bildchen austauschen ist es ja noch nicht getan, da hängt dann der Rattenschwanz der Metrik dran, und Programme wie Word sind einfach nicht darauf ausgelegt die Schrift möglichst exakt zu verarbeiten, sondern möglichst schnell (wir schreiben 2008, und stinknormales Kerning ist in Word immer noch nicht per Voreinstellung aktiviert...). Ich bin schon froh dass die gängigen Satzprogramme das jetzt können...
ThierryM Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 Ich bin schon froh dass die gängigen Satzprogramme das jetzt können... ja, bin ich auch, aber es ist ärgerlich, dass man den vollen umfang der opentype-features von schriften, für die man viel geld ausgegeben hat, in openoffice oder word nur extrem umständlich nutzen kann. ich muss nicht jeden pups in indesign setzen nach dem, was du schreibst, hoffe ich aber nicht auf schnelle besserung. bye thierry
Pachulke Geschrieben Januar 27, 2008 Themen-Ersteller Geschrieben Januar 27, 2008 Dank für Abteilen und Antworten. Ich habe gerade mal in Indesign versucht, mir einen Überblick zu verschaffen, habe auch eine Glyphentabelle gefunden, die die OT-Zeichen anzeigt, nach heftigem Suchen auch die erwähnten »OT-Features«, die Adobe sehr gut versteckt hat. Ich habe mal mit der »Arno Pro« herumprobiert, die scheint recht ausgebaut zu sein. Folgende Fragen sind aufgetaucht: Ich kann jetzt z. B. Versalziffern in Mediävalziffern wandeln oder Text in Kapitälchen. Der Zeichensatz enthält aber auch kyrillische und hellenische Zeichen. Wie steuere ich die an? Wenn ich Text in Kapitälchen umwandle, werden enthaltene Versalziffern automatisch in Mediävalziffern gewandelt. Müßten dies nicht besser halbhohe Versalziffern sein? Habe ich etwas falsch gemacht oder hat die Arno diese einfach nicht? Dritte Frage: Die Indesign-Glyphentabelle zeigt mir keine Tastenkombination für die ausgewählten Zeichen an. PopChar zeigt diese für »normale« Zeichen, die also auch in PS-Zeichensätzen wären, aber für die OT-Besonderheiten zeigt PopChar auch nur einen Code an wie z.B. #8070[1F86] für einen hellenischen Accent. Sind überhaupt alle OT-Zeichen über die Tastatur erreichbar und wenn, dann wie (und wenn nicht, wie dann)?
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 nach heftigem Suchen auch die erwähnten »OT-Features«, die Adobe sehr gut versteckt hat. nicht nur das, sie haben sie teilweise auch in "altbekannte" Funktionen eingebaut. Aktivierst du z.B. in der Zeichenpalette (nicht zu verwechseln mit der Glyphenpalette!) den Versalsatz, werden nicht nur alle Klein- in Großbuchstaben umgewandelt, was schon sehr lange auch ohne Opentype umgesetzt werden konnte, sondern wendet auch ein eventuell vorhandenes CAPS-Feature an (dieses positioniert verschiedene Satzzeichen wie Klammern, Mittelpunkte, etc. in ihrer Höhe um, damit sie besser zu den Versalien passen). Auch das klassische Kapitälchen-Feature ist nicht bei den Opentype-Funktionen zu finden, sondern in der Zeichenpalette. Wird dieses aktiviert, so wird das Feature SMCP angewendet (Klein- zu Kapitälchenbuchstaben). Verwendet man hingegen das Kapitälchen-Feature aus dem Opentype-Menü, erhältst du zusätzlich das C2SC-Feature, das auch die Großbuchstaben in Kapitälchen umwandelt... Ich habe mal mit der »Arno Pro« herumprobiert, die scheint recht ausgebaut zu sein. Eine gute Wahl für Testzwecke, ja. Momentan wohl die "modernste" Opentype-Schrift von Adobe. Der Zeichensatz enthält aber auch kyrillische und hellenische Zeichen. Wie steuere ich die an? Da es hier keine 1:1-Übersetzung geben kann (wandle a in alpha, b in beta, ...), ist das mit Opentype nicht machbar (und auch nicht sinnvoll). Die Opentype-Features kümmern sich vornehmlich um das Erscheinungsbild der eingegebenen Zeichen, nicht um die Zeichen(codes) selbst. Griechische Zeichen haben andere Codes hinterlegt als lateinische. Diese werden immer noch mittels eines passenden Tastaturtreibers (und idealerweise durch eine passende Tastatur) eingegeben, oder eben alternativ mühsam über eine Zeichentabelle. Wenn ich Text in Kapitälchen umwandle, werden enthaltene Versalziffern automatisch in Mediävalziffern gewandelt. Müßten dies nicht besser halbhohe Versalziffern sein? Habe ich etwas falsch gemacht oder hat die Arno diese einfach nicht? Dann wollte es der Hersteller so, er hat es in diesem Feature so definiert. Entweder weil er der Ansicht ist, dass zu den Kapitälchen die Mediävalziffern gehören, oder weil er einfach keine halbhohen Versalziffern oder Kapitälchenziffern erstellt hat die er verwenden könnte. Dritte Frage: Die Indesign-Glyphentabelle zeigt mir keine Tastenkombination für die ausgewählten Zeichen an. PopChar zeigt diese für »normale« Zeichen, die also auch in PS-Zeichensätzen wären, aber für die OT-Besonderheiten zeigt PopChar auch nur einen Code an wie z.B. #8070[1F86] für einen hellenischen Accent. Sind überhaupt alle OT-Zeichen über die Tastatur erreichbar und wenn, dann wie (und wenn nicht, wie dann)? Das hängt davon ab, wie diese Sonderzeichen in der Schrift abgelegt wurden. Haben sie einen eigenen Unicode-Wert (also eine eigene Codierungsnummer) zugewiesen bekommen, sind sie über diesen erreichbar. Wie diese am Mac eingegeben werden kann ich dir leider aus dem Stehgreif nicht sagen. Das Problem ist, dass der Unicode nicht für Zeichenvarianten geschaffen wurde, sondern für eindeutige Zeichen, d.h. es gibt nur *einen* Code für das Zeichen "1", nicht mehrere für mehrere Varianten. Man hat zwar einen Bereich geschaffen, wo zusätzliche nicht standardisierte Zeichen abgelegt werden können (Private Use Area), dort herrscht aber definitionsgemäß Chaos, weil jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kocht bzw. kochen muss. D.h. gibt es einen zugewiesenen Unicode-Wert für die Minuskel-1 in der Arno Pro, und du weißt diesen, könntest du sie über die Tastatur direkt eingeben. In einer anderen Schrift kriegst du aber unter diesem Code vielleicht was ganz anderes oder gar nichts angezeigt. Zusätzlicher Nachteil: Das Zeichen das du eingefügt hast, sieht zwar aus wie eine 1, ist aber rein technisch keine (bei Buchstaben gibt es dann Probleme mit Rechtschreibkorrektur, etc.). Die andere Möglichkeit ist, dass die Alternativzeichen *keinen* Unicode-Wert haben. Sie liegen als nicht codierte Glyphen im Font, und können nur über Opentype-fähige Programme im Sinne einer Ersetzung angesprochen werden. Adobe ist dazu übergegangen, ihre Schriften auf diese Weise zu produzieren. Es gibt also keinen Code mehr für das Kapitälchen-A über das dieses eingegeben werden könnte, sondern man gibt (technisch gesehen) nur noch ein "a" ein und aktiviert das Feature für Kapitälchen. Beide Methoden haben Vor- und Nachteile. Methode 1 ermöglicht auch nicht-Opentypefähigen Programmen die Nutzung der Zusatzzeichen, man erhält aber Code-Salat, ganz ähnlich wie früher mit Expertschnitten. Methode 2 ist sauberer, sperrt aber für unfähige Programme die Zusatzzeichen aus...
Pachulke Geschrieben Januar 27, 2008 Themen-Ersteller Geschrieben Januar 27, 2008 Ganz herzlichen Dank für die ausführlichen Erläuterungen. Was sich mir noch nicht erschlossen hat, ist der Sinn, z. B. Kyrillisch und Griechisch zu integrieren, wenn es satztechnisch offensichtlich nicht möglich ist, damit Texte zu setzen. Sind diese Zeichensätze nur da, weil es nun mal technisch machbar ist und ohnehin nicht mehr kostet? Oder erkennt die Software am Ende gar, wenn die Tastatur auf einem Rechner auf Kyrillisch eingestellt ist, und setzt dann die Arno automatisch in Kyrillisch?
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 Wenn du an einer lateinischen Tastatur die Taste "A" betätigst, wird das Zeichen "0061" an den Computer gesendet, der dann in der Schrift nachschlägt und das Bildchen für das "A" am Bildschirm anzeigt. Wenn du mit einer kyrillischen Tastatur das Zeichen "?" tippst, wird das Zeichen "0411" an den Computer gesendet, der dann in der Schrift nachschlägt und das Bildchen für das "?" am Bildschirm anzeigt. Das Problem ist, dass die lateinische Tastatur die du vor dir hast keinen Knopf für das kyrillische Zeichen "0411" hat --> du tust dir mit der Eingabe schwerer als für unsere gängigen Buchstaben, technisch ist es das selbe. Zwischen Tastatur und Programm steckt in der Realität noch der Tastatur-Treiber, ein Hilfsprogramm, das die Zuordnung zwischen Taste und "gemeintem" Zeichen erledigt. Für eine deutsche Tastatur verwendet man in der Regel auch einen deutschen Tastaturtreiber, für eine französische einen französischen, für eine russische einen russischen. Es ist möglich diesen Treiber auszutauschen (das Tastaturlayout zu wechseln), dann hast du rein datentechnisch plötzlich eine französische, russische, griechische, amerikanische, ... Tastatur vor dir, mit dem Nachteil dass die Tasten noch falsch bedruckt sind, du also auch nicht wirklich weiterkommst. Was du also tun kannst, wenn du deutschen und russischen Text tippen musst, ist entweder zwei Tastaturen zu verwenden, ständig das Tastaturlayout zu wechseln, oder eine Tastatur zu kaufen, die dir auch die Darstellung der Tasten wechseln kann (Kostenpunkt 370 Euro + Versand, falls überhaupt lieferbar).
Pachulke Geschrieben Januar 27, 2008 Themen-Ersteller Geschrieben Januar 27, 2008 Ich meinte mit meiner (hypothetischen) Frage eher: Wenn jetzt jemand in Rußland an einem dort gekauften Rechner mit russischen Treibern, russischer Tastatur usw. besagte »Arno Pro« lüde: Würde diese dann automatisch auf den kyrillischen Teil des Zeichensatzes zurückgreifen oder gibt as andere Gründe (oder eben, wie angedeut, vielleicht auch keine tieferen Gründe) dafür, daß Adobe Kyrillisch dort mit hineingebriegelt hat?
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 Ja, ein Russe mit russischem Rechner würde mit seinem System bequem auf die russischen Zeichen zurückgreifen, so wie wir bequem auf die lateinischen zugreifen. Es gibt also nur noch eine Schriftdatei, in der alles enthalten ist, statt früher mehrere mit den einzelnen Zeichensätzen. Was es teilweise noch gibt sind Versionen mit reduziertem Zeichensatz zu einem günstigeren Preis. Das ist aber eher Marketing-bedingt so, nicht technisch bedingt.
U+05E9 Geschrieben Januar 27, 2008 Geschrieben Januar 27, 2008 Sind überhaupt alle OT-Zeichen über die Tastatur erreichbar und wenn, dann wie (und wenn nicht, wie dann)? Sebastian Nagel hat es ja schon ganz hervorragend erklärt, also hier nur nochmal kurz was zum Thema „Wie erreiche ich die griechischen oder kyrillischen Zeichen auf dem Mac?“: Will man nur eine einzelnes Zeichen einsetzen, geht das gut über die Zeichenpalette. Dort sieht man auch sehr schön alle Zeichen des entsprechenden Unicodes-Bereich im Überblick – z.B. über Darstellung: Code-Tabellen oder über Darstellung: Alle Zeichen . Für längerer Texte im anderen Schriftsystem und weitaus schneller geht es aber, wenn man die Tastatur umschaltet. Auf dem Mac findet man diese unter dem Flaggensymbol rechts oben im Menü (Dort nicht angezeigte [für „exotischere“ Sprachen] kann man über Landeseinstellungen öffnen im selben Menü leicht hinzufügen). Am Anfang blendet man sich am besten die ?astaturübersicht ein Mit etwas Übung weiss man bald, wo welches griechische (oder kyrillische) Zeichen liegt. Im Tastaturmenü gibst übrigens auch eine Unicode-Tastatur („Unicode Hex-Eingabe“). Mit der kann man jedes Unicodezeichen eines Fonts (sofern vorhanden) über seinen hexadezimalen Code erreichen. Man gibt dann mit gedrückter alt-Taste z.B. 0411 ein und erhält ein ?.
Ralf Herrmann Geschrieben Januar 28, 2008 Geschrieben Januar 28, 2008 Würde diese dann automatisch auf den kyrillischen Teil des Zeichensatzes zurückgreifen oder gibt as andere Gründe dafür, daß Adobe Kyrillisch dort mit hineingebriegelt hat? Noch zur Ergänzung zu Sebastians Ausführungen: Es geht nicht nur darum, dass Paul und Pawel den gleichen Font benutzen können, sondern vor allem darum, dass die verschiedenen Schriftsysteme von jedermann in EINEM Dokument benutzt werden können. Früher musste man dass durch unterschiedliche Schriftarten-Zuweisung in einem Dokument bewerkstelligen. Fehlte eine der Schriften, gab’s Sonderzeichensalat. Mit Unicode und gut ausgebauten OpenType-Fonts ist der Text selbst schon eindeutig kodiert, egal welche Fonts, welches OS oder welches Programm gerade im Einsatz ist. Erschöpfend übrigens hier erklärt: http://www.typografie.info/typowiki/ind ... %28Buch%29 :P
Sebastian Nagel Geschrieben Januar 28, 2008 Geschrieben Januar 28, 2008 Apropos Apple... Stellt euch auf eine Fragenflut meinerseits diesbezüglich ein... Ab Mittwoch darf ich nach 3 Jahren Pause (mit winzigen Unterbrechungen) wieder an so einem Gerät arbeiten.
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