Ereshkigal Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Hallo, wie sind denn die Serifen entstanden? Das ging ja wohl erst los, als die Römer ihre Capitalis Monumentalis in Stein meißelten; da sind ansatzweise Serifen zu entdecken. Mit "verbesserte Lesbarkeit" kann das ja damals noch nichts zu tun gehabt haben, da ja Text damals sowieso nicht in großen Mengen konsumiert wurde, sondern wenn dann laut vorgetragen wurde. Oder bildeten sich die Serifen durch den Anstrich der mit der Rohrfeder niedergeschriebenen Capitalis?
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Kommt vom Pinsel als Schreibwerkzeug: http://www.amazon.com/Origin-Serif-Brus ... 0962974013
Ereshkigal Geschrieben Mai 12, 2009 Themen-Ersteller Geschrieben Mai 12, 2009 Aha!? Aber zeitlich zu Verorten ist das ja dann auch Anfang/Mitte des ersten Jahrtausends, oder? Wobei für mich keines der genannten Beispiele/Ursprünge wirklich "legitim" ist, denn damals waren die Serifen (oder das, woraus sie dann entstanden) ja nur eine (zwangsläufige) Begleiterscheinung des Schreibens, nicht bewusst verwendetes Gestaltungsmittel. (Oder?) //edit: D'oh, hatte nur die deutsche wiki gelesen. Im Englischen findet sich: Serifs are thought to have originated in the Roman alphabet with inscriptional lettering—words carved into stone in Roman antiquity. The explanation proposed by Father Edward Catich in his 1968 book The Origin of the Serif is now broadly but not universally accepted: the Roman letter outlines were first painted onto stone, and the stone carvers followed the brush marks which flared at stroke ends and corners, creating serifs.
Pachulke Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Kommt vom Pinsel als Schreibwerkzeug … Also ich habe gelernt, daß die Serifen vom Meißel als »Schreibwerkzeug« kommen. Wurde die römische Capitalis in Stein gehauen, wurde am Ende einer Linie ein Flachmeißel quer angesetzt und am Linienende eingeschlagen. Die herausplatzenden Füße ergaben das Urbild der Serife.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Das ist grober Unfug – wird aber nach wie vor von Typobuch zu Typobuch übernommen.
Pachulke Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Ist doch aber nicht weniger plausibel als die Sache mit dem Pinsel, oder?
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Schau dir mal die Original-Inschriften oder originalgetreu digitalisierte Schriften dieser Art an. Die Serifen sind in der Horizontalen in keiner Weise flach – die Flachmeißel-Theorie ist eine reine Kopfgeburt, die nichts mit der Realität gemein hat. Die Serifen zeigen viel mehr ganz klar die auslaufenden Abstriche der Pinsel-Vorzeichnungen. Ich meine mich zu erinnern, dass man in Pompeji sogar noch solche Vorzeichnungen finden konnte. Die Steinmetze haben die Form überhaupt nicht beeinflusst, sondern nur detailgenau ausgeformt, was der Schreiber vorher mit dem Pinsel vorgezeichnet hat.
Alpha Geschrieben Mai 12, 2009 Geschrieben Mai 12, 2009 Na, vielleicht gibt es ja hier einen Steinmetz, der das aufklären kann. Ich hab auch nur die Meißel-Theorie gehört, so hab ich es noch im Kopf: Die Serifen entstanden durch die schräge Meißelhaltung am Ende des Buchstaben. Dort musste man dann einen Abschluss finden für das "Tal", was entstanden ist. Und gerade heruntermeißeln geht ja nicht, also meißelt man einmal von links und einmal von rechts in die Mitte (schwer zu erklären). Da musste man meist ein wenig mehr Spielraum haben, als da war. Irgendwann fand man diese Mini-Serifen ästhetisch und vergrößerte sie. Voilà!
Ereshkigal Geschrieben Mai 13, 2009 Themen-Ersteller Geschrieben Mai 13, 2009 Wenn die Pinsel-Theorie also stimmt - von was ich nun ausgehe - dann gilt nun zu klären: Wieso zeichneten die Vorzeichner ihre Buchstaben mit Serifen?
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 13, 2009 Geschrieben Mai 13, 2009 Das ergibt sich fast zwangsläufig aus der Schreibbewegung mit der verwendeten Art von Pinseln.
Alpha Geschrieben Mai 13, 2009 Geschrieben Mai 13, 2009 Ja, ist die Frage, womit die Jungs tatsächlich gemalt haben. Also ein Flachpinsel kann ja einen geraden Balken malen. Mit einem spitzen, runden Pinsel kann man eigentlich alles und auch sehr präzise malen. Aber ich denke, dass, wenn das untere Ende eines Buchstaben nicht ganz gerade geworden ist und man versucht es auszubessern, durchaus etwas Serifen-ähnliches herauskommen kann, vor allem mit dem flachen Pinsel. Ich hab noch mal die Quelle mit dem Meißel eingefügt, allerdings ist dieser Mensch eher aus der Praxis, als aus der Theorie. Deshalb lege ich meine Hand nicht dafür ins Feuer. (Helm Wotkow, The Art of Hand Lettering) Naja, zumindest die römische Schreibschrift scheint ja keine Serifen zu haben, außer diesen Slab-Serifen, die manchmal am Buchstabenstamm auftauchen.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 13, 2009 Geschrieben Mai 13, 2009 Ja, ist die Frage, womit die Jungs tatsächlich gemalt haben. Also ein Flachpinsel kann ja einen geraden Balken malen. Aber am Anfang und Ende entsteht dann kein ordentlicher Abschluss, deshalb muss man da den Pinsel einmal kurz horizontal aus dem Stamm rausziehen – der Symmetrie wegen natürlich nach beiden Seiten – voilà: die Serife ist da.
Alpha Geschrieben Mai 13, 2009 Geschrieben Mai 13, 2009 Ja, könnte man sich vorstellen. Heutzutage scheint man aber eher einen Querstrich zu bevorzugen, dann hat man auch einen geraden Abschluss. (Handlettering Today, Abraham Switkin)
Gast Kupfers Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Ich muss Alpha zustimmen -- wer schon mal Schrift in Stein gehauen hat weiß, wie brutal schwer es ist keine Serife zu machen. Ein bisschen Ecken ergeben sich fast zwangsläufig. Das geht mir mit dem Pinsel oder der Feder nicht so, und schon gar nicht auf beiden Seiten. Das ist nämlich ordentlich schwer, Schriften wie die Kapitalis mit dem Pinsel zu schreiben, zeichnen geht schon eher. Was jedoch auch sehr schwer ist, ist in Stein hauen ohne Vorzeichnung ...
Alpha Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Na, ich weiß es noch vom Kalligrafieunterricht mit der Feder: Das ist der Horror mit dem Ding Serifen hinzukriegen, vor allem auf der rechten Seite vom "T". Dabei muss man die Feder in unnatürlichem Winkel drehen. Was beim Malen mit dem Pinsel (wenn die Borsten nicht lang genug sind) entsteht, ist eine leichte Verdickung am Anfang und am Ende des Striches. Aber ob sich daraus Serifen entwickelt haben ... eine gewagte Theorie. Ich denke hier hilft einem nur das Experiment mit dem Meißel bzw. einem antiken Pinsel. Das mit den gemalten Serifenschriften als Argument ist auch nur schwach, da, wenn man, wie oben angedeutet, Serifen hauen will, wohl auch welche vormalt. Wie sah das eigentlich bei den Griechen aus, weiß das jemand? Hatten die schon Serifen an ihren Schriften/Inschriften?
Gast Kupfers Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Wie sah das eigentlich bei den Griechen aus, weiß das jemand? Hatten die schon Serifen an ihren Schriften/Inschriften? Ich würde mal sagen, ja, die hatten kleine Ecken an den Stämmen. So ausgeprägt, wie bei der Kapitalis aber nicht. (ca. 400 vC) ohje, was ne grottige Darstellung ... (ca. 100 nC)
MatthiasB Geschrieben Mai 22, 2009 Geschrieben Mai 22, 2009 In "Der Mensch und seine Zeichen" (Adrian Frutiger) bin ich gerade auf Folgendes gestoßen: "So wurde beim Meißeln der römischen Kapitalschrift die Endung des Striches leicht überbetont, um die Wirkung von Licht und Schatten an dieser Stelle zu verstärken und um dem Zeichen einen besseren Halt auf der Fläche zu verleihen."
Carlito Palm Geschrieben Mai 24, 2009 Geschrieben Mai 24, 2009 tja, den guten herrn frutiger könnte man ja noch fragen, woher er diese information hat (oder ob er sich das zusammengereimt hat :| )
Maximilian Geschrieben Juni 13, 2009 Geschrieben Juni 13, 2009 Klotzige Serifen hatten schon die ollen Griechen im 3. Jahrhundert v.Chr. Sie haben sie später sehr virtuos und elegant gehandhabt. Sie konnten sich garnicht genug tun beim Serifenmeißeln. Sogar da, wo wir nie drauf kämen, welche anzubringen. Also eine rein ästhetische Angelegenheit. Im übrigen bin ich der Meinung, dass die römischen Steinmetzen so hervorragend gearbeitet haben, dass ihnen niemand die Serifen vorzeichnen oder schreiben musste. Sie brauchten aber das Vorschreiben, um mit dem Platz auszukommen. Kann man vereinzelt noch erkennen. Es musste wohl ein Flachpinsel gewesen sein, der uns die dicken und dünnen Striche beschert hat. Andere meinen ein Spatel. Ich war leider nicht dabei.
Gast Kupfers Geschrieben Juni 13, 2009 Geschrieben Juni 13, 2009 Danke Max! Ich habe die letzten Tage wieder mal versucht, serifenlos zu hacken. Schwer. (Und wird einfach nicht so schön)
Christoph Schumacher Geschrieben Januar 13, 2010 Geschrieben Januar 13, 2010 Es gibt meines Wissens nach tatsächlich einige Quellen, welche die Existenz der Vorzeichnungen mittels eines Flachpinsels nachweisen. Warum man die Schriftzeichen vorgezeichnet hat? Wohl deshalb, weil es schon damals – wie auch heute üblich – darum ging, nicht einfach Schriftzeichen an Schriftzeichen zu reihen, sondern eine Fläche zu gestalten. Die Trajansäule in Rom zeigt dies schön auf: Die Schriftzeichen sind im oberen Teil der Säule grösser gehalten als in den tiefer gelegenen Teilen. Dies soll den zunehmenden Betrachtungsabstand kompensieren. Ein weiterer Grund mag sein, dass Stein ein sehr kompromissloses Material ist. Was weg ist, ist weg. Es gibt kaum Korrekturmöglichkeiten. Mittels eines Pinsels war es für einen Schreiber möglich, Korrekturen anzubringen, unterschiedliche Anordnungen zu testen. Die ausserordentliche Schöneheit und Präzision einer Capitalis Monumentalis wäre mit einer direkten Bearbeitung des Steines wohl kaum möglich gewesen.
Albert-Jan Pool Geschrieben Februar 15, 2023 Geschrieben Februar 15, 2023 (bearbeitet) Am 13.6.2009 um 18:53 schrieb Maximilian: Es musste wohl ein Flachpinsel gewesen sein, der uns die dicken und dünnen Striche beschert hat. Genau, es gibt kein anderes Schreibinstrument, dass den Strichstärkenkontrast der Capitalis Monumentalis bzw. Scriptura Monumentalis und der Capitalis Rustica bzw. Scriptura Actuaria beim Schreiben herbeiführt, das Gleiche gilt für de Form der Serifen. Der Spatel ist für die meisten in römischen Inschriften anzutreffende Serifen, Strichansätze und Ausläufe viel zu starr, genauso wie der Stahlfeder oder zwei zusammengebundene Stifte. Bereits 1906 schrieb Edward Johnston hierzu in Writing, Illuminating and Lettering, Sir Isaac Pitman and Sons, London, S. 340: »The brush is properly used for temporary inscriptions, especially on the surface of painted wood or stone, but, for more important work, incising or carving (painted if desired) are to be preferred as more permanent and preserving the original form of the lettering.« (meine Kursivierung). Auf Seite 342 zeigt er die beigefügte Illustration einer Inschrift bei der die Capitalis Monumentalis fast fließend in die Capitalis Rustica übergeht. Es ist unverkennbar, dass diese Inschrift, samt Strichstärkenkontrast, Serifen und sonstigen Formen, auf einer mit einem Flachpinsel vorgeschriebener Schrift basiert. Edward Catich schrieb hierzu in The Origin of the Serif, The Catfish Press, Iowa 1968, S. 59. » […] neither the chisel, scratched guidelines, reed, 2-pencil, patterns, ornamental, esthetic reason nor outlining methods explain the origin of the serif and the shapes of Roman letters. In all these proposals the weakness is that they are not supported by evidence. An acceptable theory should: 1. embrace all known Imperial letter parts and serifs; 2. be readily demonstrable in ordinary practice; 3. apple equally well to all classes and kinds of Imperial inscriptions, scriptura monumentalis and scriptura actuaria.« Anzumerken ist, dass nach Catich niemand eine weitere oder andersartige Theorie aufgestellt hat, der die von ihm so treffend formulierte Kriterien erfüllt. Die von Catich in seinem Buch gezeigten Beispiele unterstreichen seine Theorie. Das von Edward Johnston gezeigte Beispiel bestätigt quasi im Nachhinein, dass Catichs mit seinem ganzheitlichen Ansatz richtig lag. Abb.: Emil Hübner: Exempla Scripturae Epigraphicae Latinae, Berolina 1885, No 187, Rustic Capitals. bearbeitet Februar 15, 2023 von Albert-Jan Pool BU hinzugefügt
Albert-Jan Pool Geschrieben Februar 15, 2023 Geschrieben Februar 15, 2023 Am 12.5.2009 um 21:22 schrieb Ralf Herrmann: Die Serifen zeigen viel mehr ganz klar die auslaufenden Abstriche der Pinsel-Vorzeichnungen. Ich meine mich zu erinnern, dass man in Pompeji sogar noch solche Vorzeichnungen finden konnte. Ralf Herrmann zeigt solche Beispiele in seinem Artikel Warum die Serifen doch nichts mit dem Meißel zu tun haben. Findet sich hier auf Typografie.info :-)
Albert-Jan Pool Geschrieben Februar 16, 2023 Geschrieben Februar 16, 2023 So geht das: Versalien schreiben mit einem Flachpinsel.
Empfohlene Beiträge
Erstelle ein Benutzerkonto oder melde dich an, um zu kommentieren
Du musst ein Benutzerkonto haben, um einen Kommentar verfassen zu können
Benutzerkonto erstellen
Neues Benutzerkonto für unsere Community erstellen. Es ist einfach!
Neues Benutzerkonto erstellenEinloggen
Du hast bereits ein Benutzerkonto? Melde dich hier an.
Jetzt anmelden