Fernamar Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Ich habe gelesen, nämlich hier http://www.uta.fi/~trjusc/vancouver-de.pdf , dass die durchschnittliche Wortlänge Einfluss auf die optimale Zeilenlänge haben soll. Ich finde aber nirgends in der Literatur, wie diese beide Sachen zusammenhängen sollen. Kann mir jemand einen Tipp geben?
Gast bertel Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Du musst unterscheiden zwischen Zeichen pro Zeile und Wörter pro Zeile. Ergo: Je kürzer die Wörter, desto kürzer die Zeilenlänge, auch wenn dann die optimale Zeichenmenge pro Zeile unterschritten wird.
Joshua K. Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Ich zitiere Wolfgang Beinert (http://www.typolexikon.de/s/satzbreite.html): Binsenweisheiten wie » eine Satzbreite von 40 bis 70 Zeichen, 65 Anschläge oder bei wissenschaftlichen Texten bis 80 Zeichen seien optimal lesbar « sind in dieser Form nicht belegbar. Es ist dagegen wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir Wortbilder und keine Buchstaben lesen (Fixationen). In der klassischen Buchtypographie (z.B. Roman, gesetzt in einer Cicero im Stil einer Vorklassizistischen Antiqua) gilt deshalb eine Satzbreite von acht bis zwölf Wörtern als optimal lesbar.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Es ist dagegen wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir Wortbilder und keine Buchstaben lesen (Fixationen). Neien! Das ist genauso ein Typo-Mythos wie die Sachen mit den Serifen und den Meißeln. Ich muss das Typo-Mythen-Buch wohl doch langsam mal schreiben ...
CADtp Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Da msus ich jtzet aebr mal weridpserhcen. Söhcenn Fneberiaed Jo
Sebastian Nagel Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 also lesen wir doch keine Wortbilder. "jtzet" ist ja nicht das selbe Bild wie "jetzt" (nicht mal Fragmente), trotzdem kann ich es lesen.
CADtp Geschrieben Mai 14, 2009 Geschrieben Mai 14, 2009 Das Zitat von Ralf ging in meinem Verständnis dahin, dass wir keine Buchstaben lesen. Und dagegen war mein Widerspruch gerichtet. Diesen langen Beitrag mit den vertauschten Buchstaben, wenn nur der erste und letzte Buchstabe stimmen, hat jeder von uns irgendwo auf der Platte, oder? Damit zurück zum Thema: irgendwo die letzten Tage stand hier mal was von Augenbewegungen, ich glaube es waren fünf bis sieben pro Zeile. Das finde ich als Erklärung sinnvoll. Jo Edith fragt: Sind "diese" Anführungszeichen hier neuerdings erlaubt?
Gast Kupfers Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass wir Wörter, deren »Bild« wir kennen, schneller erfassen/lesen und im Text weiter springen. Wenn wir es nicht kennen, oder es mehrere ähnlich aussehende Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen gibt, versuchen wir es über buchstabieren. Es ist ebenfalls untersucht, dass eine Zeilenlänge ab 14 cm nicht mehr so komfortabel zu lesen ist, da wir dann nicht nur die Augen, sondern auch den Kopf leicht mit bewegen, was ermüdet. Dabei ist es relativ egal, wieviele Zeichen oder Wörter in der Zeile sind. Wir können 14 cm lang viele kurze englische Wörter ermüdungsfrei lesen, genauso wie 14 cm lang drei finnische. Darüber hinaus ist mit nur zwei Wörtern in der der Zeile oft kein schöner Umbruch zu machen, schon gar nicht im Blocksatz. Daher würde ich auch dazu tendieren, das Texte in Sprachen mit sehr langen Wörtern (da sind wir noch nicht Spitzenreiter) in längeren Zeilen gesetzt werden können, als Texte mit kurzen Wörtern.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass wir Wörter, deren »Bild« wir kennen, schneller erfassen/lesen und im Text weiter springen. Diese vermeintlichen wissenschaftlichen Untersuchungen sind allerdings völlig veraltet und in wissenschaftlichen Kreisen längst verworfen worden – nur die Typografen tragen das weiterhin in die Welt hinaus.
Gast Kupfers Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Und was ist dann wissenschaftlich der neueste Stand. Dass wir buchstabieren? Kann ja jeder mal an sich selber beobachten. Wer Texte überfliegt, macht ja nichts anderes, als nach Schlüsselworten zu "schauen" (he, der iPod kann keine quotes!) Es gibt auch Lesetechniken, bei denen man in einer Fixation mehrere Zeilen in den Blick nimmt und dadurch schneller liest.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Und was ist dann wissenschaftlich der neueste Stand. Dass wir buchstabieren? Kann ja jeder mal an sich selber beobachten. Nein, das machen nur Leseanfänger. Aber diese vermeintlichen Wortbilder sind ja auch nichts anderes als eine Folge von Einzelbuchstbaben, die eben parallel verarbeitet zur Erkennung des bekannten Wortes führen. Und das lässt sich durch die schon genannten Buchstabendreher oder Abdecken von Teilen des Wortes problemlos nachweisen.
Sebastian Nagel Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 auf typophile.com wurde das ja mal ausführlich diskutiert. hat jemand noch den link dazu? ich finde es nicht mehr ... Kurz zusammengefasst war es in etwa so (das ist natürlich noch nicht wissenschaftlich in meiner Ausführung): Wortbilder wahrnehmen hieße dass wir bekannte Worte als "Umriss" wahrnehmen. Dann würde das mit den Buchstabendrehern aber nicht funktionieren. Buchstabieren hieße dass wir jeden Buchstaben einzeln aneinander reihen. Das macht der Leseanfänger. Buchstabenparallelverarbeitung heißt, dass wir mehrere (wieviele?) Buchstaben gemeinsam verarbeiten - aber eben unabhängig von der exakten Reihenfolge bzw. der sich ergebenden Form (wobei es natürlich ungünstige Kombinationen gibt, die die Verarbeitung auf eine falsche Fährte locken und zu falschen Resultaten führt). Drum können wir Buchstabendreher-Worte lesen bzw. bemerken sie im Lektorat nur schwer. Erleichert wird die eindeutige Verarbeitung eben, wenn Anfangs- und Endbuchstabe "passen", dann können wir eine Vielzahl von theoretisch möglichen Ergebnissen schon mal "wegstreichen".
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 (wieviele?) Die Zahl ist fließend. Wirklich scharf sind nur 3 bis 4 Buchstaben, danach nimmt die Deutlichkeit in Leserichtung rasch und stark ab, aber es kann noch jede Menge erraten werden (bis ca. 15 bis 25 Buchstaben). Daher auch das mögliche Überfliegen oder Überspringen ganzer Wörter und Wortgruppen.
Gast Kupfers Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Dann habe ich mich falsch ausgedrückt, sorry. Ich meine genau das gleiche: das wir erst Anfang und Ende anschauen, und grob, was dazwischen vor sich geht und das Wort schon mal versuchen, zu erraten. Ergibt das keinen Sinn, schauen wir genauer, Buchstabe für Buchstabe, hin. Das lässt sich mit den Buchstabendrehern nachweisen, und mit der Abdeckung, genau. Das dieses Prinzip Buchstabenparallelverarbeitung heisst, wusste ich nicht. Was sich aber auch sehr leicht nachweisen lässt, ist, dass sich gleichförmig rechteckige Wörter, z.B. in Versalien oder unicase-Schriften schwerer erkennen lassen, als Wörter mit Ober- und Unterlängen, wie Gemeine oder Halbunziale. Ich bring da immer gerne das Beispiel von HUFE und HUPE vs. Hufe und Hupe. Das würde widerum für Umriss-Anschauen sprechen. Wenn ich mal so für mich und meine Leseerfahrung sprechen kann, würde ich sagen, ist es all das zusammen. Ich schaue auf zwei, drei Wörter gleichzeitig, deren Anfänge, Umrisse, und Enden oder markante Buchstabenkombinationen. Häufige Wörter wie und oder oder oder weniger wichtige Füllwörter erkennt man sehr schnell am Bild, bzw. Umriss (oder wie ihr dass nennen mögt) und kann sie übergehen. Gleichzeitig schaue ich auch schon in die nächste Zeile, und versuche die Schlüsselwörter, mit der wichtigsten Bedeutung zu finden. Bei schmalen Spalten, kann man so extrem schnell den Inhalt erfassen.
Joshua K. Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Bei nicht zu langen Wörtern wird durch Buchstabendreher die „Wortform“ ja meistens nicht allzu sehr verändert, so auch im Beispiel von CADtp: Da Anfangs- und Endbuchstabe bestehen bleiben, verschieben sich hier nur die Oberlängen etwas innerhalb des Wortes. (Der Kontext spielt hier auch eine Rolle; so wissen wir gleich, daß der Feierabend und nicht das Ferienbad gemeint ist.) Werden Buchstaben aber so vertauscht, daß sich die Reihenfolge von Ober- und Unterlängen ändert, wird es schon viel schwieriger, das Wort zu erkennen: agufeßapt Hier habe ich die Reihenfolge der Buchstaben im Wort »aufgepaßt« so verändert, daß Ober- und Unterlängen vertauscht sind. Ich glaube auch, daß sowohl die Buchstaben (oder besser gesagt: besondere Buchstabenmerkmale), als auch das Wortbild eine Rolle beim Erkennen von Wörtern spielen, und sich dabei ergänzen.
Gast Kupfers Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 agufeßapt Hier habe ich die Reihenfolge der Buchstaben im Wort »aufgepaßt« so verändert, daß Ober- und Unterlängen vertauscht sind. Ich glaube auch, daß sowohl die Buchstaben (oder besser gesagt: besondere Buchstabenmerkmale), als auch das Wortbild eine Rolle beim Erkennen von Wörtern spielen, und sich dabei ergänzen. Im letzten Beispiel ist aber auch die Buchstabenkombination uf besonders markant und nicht vertauscht. Das bedeutet fast immer was mit auf. Der Rest des Wortes ist schon schwerer, doppel ss würde es hier wahrscheinlich leichter machen.
Ralf Herrmann Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Was sich aber auch sehr leicht nachweisen lässt, ist, dass sich gleichförmig rechteckige Wörter, z.B. in Versalien oder unicase-Schriften schwerer erkennen lassen, als Wörter mit Ober- und Unterlängen, wie Gemeine oder Halbunziale.Ich bring da immer gerne das Beispiel von HUFE und HUPE vs. Hufe und Hupe. Das ist auch unbestritten, aber dieses Beispiel lässt keinen direkten Schluss auf die Frage nach Wortbild vs. Parallel Letter Recognition zu, da ja nicht klar ist, wie der Input tatsächlich verarbeitet wird. Wird das Bild direkt als solches verglichen (Schablonenabgleich) oder wird es in Einzelbuchstaben zerlegt und daraus das Wort erkannt (Merkmalsanalyse)? Beides ist möglich, um den Effekt zu erklären. Ich hab mich ja gerade wegen meiner Schilderschrift noch einmal intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und kann das auch nochmal alles ganz genau schriftlich darlegen. Wenn das TypoJournal Ausgabe 1 ein Erfolg wird, dann machen wir die 2. Ausgabe zum Thema Lesbarkeit und arbeiten das nochmal alles ordentlich auf. :D
Norbert P Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Ich hab den Fred gerade mal diagonal gelesen, und frage mich, wie ich das gemacht habe. Zum Buchstabieren war das Tempo zu hoch, Wortbilder sehe ich aber auch nicht, und auch die verdrehten Wörter (inklusive "aufgepasst") haben in der Diagonalvariante funktioniert. Für die "Parallelverarbeitung" spricht auch noch, dass ich beim Korrekturlesen immer das Lesetempo künstlich drossele (auf ca. 1/3 meiner normalen Geschwindigkeit bzw. 1/10 Diagonallessezeit). Ist wahrscheinlich wie beim Licht, ist ja auch weder Welle noch Teilchen bzw. beides bzw. da war noch was mit Raumzeitteilchen ...
Friedrich Althausen Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 Die Theorie der Wortumrisse scheint mir die Binnenräume zu vernachlässigen. Was ist mit dem markanten weißen Dreieck rechts vom k? Mit dem großen runden Raum im o im Gegensatz zum aufgeteilten weißen Raum im a?
Dieter Stockert Geschrieben Mai 15, 2009 Geschrieben Mai 15, 2009 [...] so auch im Beispiel von CADtp:[...] Werden Buchstaben aber so vertauscht, daß sich die Reihenfolge von Ober- und Unterlängen ändert, wird es schon viel schwieriger, das Wort zu erkennen Der Selbstversuch sagt mir etwas anderes: "aufgepaßt" habe ich sofort erkannt, beim "Feierabend"-Beispiel hatte ich große Mühe.
NinaS Geschrieben Mai 31, 2009 Geschrieben Mai 31, 2009 Huch, die Diskussion hatte ich ja komplett verpasst. Die Theorie der Wortumrisse scheint mir die Binnenräume zu vernachlässigen. Was ist mit dem markanten weißen Dreieck rechts vom k? Mit dem großen runden Raum im o im Gegensatz zum aufgeteilten weißen Raum im a? Genau deswegen geht es in der «Wortbildtheorie» eben nicht nur um den Außenumriss, sondern auch um das «pattern of salient whites» (Peter Enneson) – meines Wissens der Hauptgrund für den Versuch, für das «Wortbild» das Wort Bouma einzuführen und nicht von «Umrissen», «Silhouetten» etc. zu sprechen. Ich hab den Thread jetzt auch nur diagonal gelesen und eigentlich auch grad keine Zeit, aber nur dies: Die «Wortbildtheorie» ist tatsächlich schon alt, die Abkehr davon hin zum [bzw. den Vorgängern des] Parallel-Letter-Recognition-Modell allerdings zu harsch und die Bouma-Theorie kommt zurück. Im ganzen ist es noch alles sehr im Umbruch und keiner weiß wirklich ganz genau, was passiert, wenn wir lesen. (Ich auch nicht. Aber eine knee jerk reaction wie Ralfs «Neien!» finde ich in diesem Kontext nicht nur unhilfreich, sondern auch reichlich problematisch.) Wen's etwas mehr interessiert: Hinweisen möchte ich an dieser Stelle besonders auf die Publikationen von Hrant Papazian und Peter Enneson (unter anderen). Required Reading (kurz): http://www.themicrofoundry.com/ss_read1.html Required Reading (komplizierter): http://typophile.com/node/15432 Required Reading (tiefer): Nummer 13 des wunderbaren TYPO-Magazins zum Thema Readability versammelt hochspannende Aufsätze von Papazian, Enneson und Kevin Larson (letzterer als Vertreter des Parallel-Processing-Modells). Wer übrigens den Prozess des Erkennens von Wortbildern ganz bewusst erleben will: Eine neue Sprache lernen, die ein anderes Alphabet verwendet. Faszinierend, zu erleben, wie der «Switch» vom Entziffern einzelner Buchstaben zum Wiedererkennen ganzer Wörter passiert – und wieviel «intelligent guessing» tatsächlich dabei ist.
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