StefanB Geschrieben Februar 4, 2011 Geschrieben Februar 4, 2011 Hallo zusammen, bei der Recherche früher Grotesk-Schriften bin ich auf das Phänomen gestoßen, dass viele dieser Schriften besonders auffällige Versalien aufweisen. Auffällig im Sinne, dass sie wesentlich fetter sind als die Gemeinen. Während die etwas fetteren Versalien bei einer Akzidenz Grotesk nicht störend auffallen, ist der Strichstärken-Unterschied bei der Monotype Grotesque wirklich markant. An einen angenehmen Grauwert ist gar nicht zu denken. Warum wurde das im Bleisatz so gehandhabt? Ich gehe davon aus, dass man bei der Digitalisierung nicht wesentlich in die Strichstärken der Versalien und Gemeinen eingegriffen hat. Und warum hat man es bei der Digitalisierung nicht korrigiert und die Strichstärken angepasst? Wollte man möglichst nah am Original bleiben?
Minimalist Geschrieben Februar 4, 2011 Geschrieben Februar 4, 2011 Nach allem was ich weiß sind das nur ausländische Schriften; wenn in einer Sprache ein Versal fast nur am Satzanfang und bei einigen ganz besonders wichtigen Wörtern vorkommt, hilft das schon, den Text optisch zu strukturieren. Wenn man, wie wir in Deutschland bei fast jedem Wort so ein Versal hat, dann fällt das eben eher unangenehm auf 1
Pachulke Geschrieben Februar 4, 2011 Geschrieben Februar 4, 2011 Bei der URW-Gill ist mir das auch schon unangenehm aufgefallen.
Gast bertel Geschrieben Februar 4, 2011 Geschrieben Februar 4, 2011 Das klingt sehr logisch. Was mich trotzdem verwirrt: Warum ist es bei anderen Schriften nicht so? Oder ist es bei anderen Schriften aus der Zeit der Monotype Grotesque auch so?
StefanB Geschrieben Februar 4, 2011 Themen-Ersteller Geschrieben Februar 4, 2011 Das leuchtet ein, lieber Minimalist. Aber warum tritt sowas auch bei deutschen Schriften wie der Akzidenz Grotesk oder Venus Grotesk auf? (Zugegeben nicht ganz so auffällig wie bei der Monotype Grotesque.)
Minimalist Geschrieben Februar 4, 2011 Geschrieben Februar 4, 2011 Nun, je nachdem, welche Maßstäbe man ansetzt, kann das hervorheben von Versalien ja durchaus gute Gründe haben ... Reine Vermutung von mir: Das kam aus nichtdeutschen Schriften und wurde dann übernommen, vielleicht teils unreflektiert, teils weil man gewisse Gründe dafür sah; für letzteres würde ja sprechen, dass es in deutschen Schriften nicht ganz so deutlich ist ... Aber da müsste man einen Schrifthistoriker (gibbet sowas) fragen
Joshua K. Geschrieben Februar 5, 2011 Geschrieben Februar 5, 2011 Von der Times New Roman gab es im Bleisatz eine eigene Fassung für deutschen Satz mit entfetteten Versalien. Die Fassung, die Linotype für Microsoft hergestellt hat („Times New Roman“), verwendet diese deutschen Versalien; andere digitale Fassungen verwenden dagegen die fetteren Versalien, z. B. auch die „Times“ von Linotype. Vielleicht gab es auch von anderen Schriften solche unterschiedlichen Fassungen. Auch bei deutschen Schriften sind die Versalien normalerweise etwas fetter als die Kleinbuchstaben. Der Grund dafür ist, daß Großbuchstaben ja auch größere weiße Innenräume haben. Um denselben Grauwert zu erreichen wie die Kleinbuchstaben mit ihren kleineren Innenräumen, müssen die Striche der Großbuchstaben deshalb etwas fetter sein. So eine optische Korrektur kann man z. B. auch beim kleinen g in der Antiqua sehen: Dort ist der runde obere Teil ja kleiner als das o. Um nicht zu fett zu wirken, ist deshalb die Strichstärke beim oberen Teil des g in der Regel etwas geringer als beim o. Bei MyFonts ansehen/herunterladen
Minimalist Geschrieben Februar 5, 2011 Geschrieben Februar 5, 2011 Auch bei deutschen Schriften sind die Versalien normalerweise etwas fetter als die Kleinbuchstaben. Der Grund dafür ist, daß Großbuchstaben ja auch größere weiße Innenräume haben. Um denselben Grauwert zu erreichen wie die Kleinbuchstaben mit ihren kleineren Innenräumen, müssen die Striche der Großbuchstaben deshalb etwas fetter sein. :kopfkratz: Ergibt Sinn, so weit hatte ich noch gar nicht gedacht ...
StefanB Geschrieben Februar 5, 2011 Themen-Ersteller Geschrieben Februar 5, 2011 (bearbeitet) Auch bei deutschen Schriften sind die Versalien normalerweise etwas fetter als die Kleinbuchstaben. Der Grund dafür ist, daß Großbuchstaben ja auch größere weiße Innenräume haben. Um denselben Grauwert zu erreichen wie die Kleinbuchstaben mit ihren kleineren Innenräumen, müssen die Striche der Großbuchstaben deshalb etwas fetter sein. Exakt. Genau aus dem Grund stellte sich mir die Frage, warum man sie nicht nur optisch an die Gemeinen angepasst, sondern sie sehr viel markanter hervorgehoben hat. Die Erklärung für die anglizistische Anwendung zur Hervorhebung scheint logisch. Warum dann aber auch bei Schriften aus Deutschland? Sind die optisch etwas zu fetten Versalien eventuell ein Kompromiss zwischen internationalem Bleisatz-Handel (zur Hervorhebung der wenigen Anfangsversal-Wörter) und den vielen deutschen Abnehmern (die häufig deutsche Texte setzten, der sich durch viele Anfangsversalien auszeichnet)? Heutzutage findet man ja fast auschließlich optisch angepasste Versalien vor. Anscheinend besteht kein Bedarf mehr, Worte mit Anfangsversalie auf diese Weise hervorzuheben. bearbeitet Februar 5, 2011 von StefanB
Joshua K. Geschrieben Februar 5, 2011 Geschrieben Februar 5, 2011 Vielleicht war es wirklich ein Kompromiß. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, daß man diese Eigenart einfach von den ersten aus England kommenden Grotesken übernommen hat, da man es ja gar nicht anders kannte. Interessanterweise ist es bei den verschiedenen Schnitten einer Schrift allerdings nicht einheitlich gehandhabt worden. Das sieht man beispielsweise auch bei der Venus von Scangraphic, deren breiter Schnitt einen deutlich geringeren Unterschied zwischen Versalien und Gemeinen hat: Bei MyFonts ansehen/herunterladen Bei MyFonts ansehen/herunterladen
RobertMichael Geschrieben Februar 6, 2011 Geschrieben Februar 6, 2011 Während die etwas fetteren Versalien bei einer Akzidenz Grotesk nicht störend auffallen, ich hatte neulich eine drucksache in der hand (leider weiss ich nicht mehr welche) da viel das allerdings richtig auf. alles war in akzidenz grotesk gesetzt und die versalien stachen richtig heraus, wie dunkle flecken. zusätzlich finde ich die versalien noch zu groß, darum ist die akzidenz für mich persönlich ein no-go (jedenfalls was den mengentext betrifft) mittlerweile gibt es ja auch gute und preiswertere alternativen. ist es das denn bei der akzidenz grotesk next auch so? am bildschirm lässt sich das leider nicht so gut beurteilen. http://new.myfonts.com/fonts/berthold/akzidenz-grotesk-next
StefanB Geschrieben Februar 6, 2011 Themen-Ersteller Geschrieben Februar 6, 2011 ich hatte neulich eine drucksache in der hand (leider weiss ich nicht mehr welche) da viel das allerdings richtig auf. alles war in akzidenz grotesk gesetzt und die versalien stachen richtig heraus, wie dunkle flecken. zusätzlich finde ich die versalien noch zu groß, darum ist die akzidenz für mich persönlich ein no-go (jedenfalls was den mengentext betrifft) mittlerweile gibt es ja auch gute und preiswertere alternativen. Dann hast du die Monotype Grotesque noch nicht in Aktion erlebt. ;) Von der AG gibt es ja diverse Varianten. Vielleicht war die Drucksache in der AG Old Face gesetzt? Ich kann nur das Druckbild der BQ-Version überprüfen. Bei dieser dürften ja die Versalien bereits bei der Überarbeitung in den sechziger Jahren optisch angepasst worden sein.
Joshua K. Geschrieben Februar 7, 2011 Geschrieben Februar 7, 2011 Auch die Akzidenz-Grotesk BQ hat recht kräftige Versalien:
gutenberger Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 ... zumindest ist mir die kursive Van-Dijck-Antiqua von der Monotype noch durch das extreme Herausstechen der Versalien in Erinnerung, das wirkte fast wie halbfette Versalien mit normalen Gemeinen gemischt ... in der geraden Variante war es meiner Erinnerung nach nicht ganz so extrem und die Digitalfassung hat das Ganze doch sehr abgemildert. Ich fand es damals erst gewöhnungsbedürftig, dann reizvoll - und find es schade, dass man so etwas heute fast gar nicht mehr sieht. Italienisch oder Französisch sieht sehr elegant aus. Wenn die Versalien halbwegs gleichmäßig auf der Seite verteilt waren, sah aber auch Deutsch ganz gut aus - in eher größeren Graden, splendid gesetzt, mit großzügigen Satzspiegeln und nicht zu vielen Zeilen ... Wenn man genauer hinsieht, findet man sicher bei noch einigen anderen Bleisatzantiquaschriften für heutige Sehgewohnheiten zu fette Versalien - aber wohl kaum so extrem wie bei der Van Dijck kursiv ...
gutenberger Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 ... natürlich hab ich bei diesem ganzen Gerede den diesbezüglichen Klassiker schlechthin vergessen: das Original der Cochin, die Nicolas Cochin, hat derart kräftige Versalien im Komplettguß-(Hand-)Bleisatz (ich glaube von Deberny&Peignot, bin mir aber nicht sicher) und auch bei Monotype, dass es schon aussieht wie Fette Versalien und normale Gemeine - ist aber in den meisten Digitalvarianten (außer wohl der LTC) dermaßen runtergeschliffen, dasses mit dem Original aus dem 17. Jahrhundert nix mehr zu tun hat ... was natürlich aber nicht wirklich die Frage beantwortet, was der Sinn davon ist ... vielleicht nur, weil es gut und/oder wichtig aussah?
Pachulke Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 … was natürlich aber nicht wirklich die Frage beantwortet, was der Sinn davon ist ... vielleicht nur, weil es gut und/oder wichtig aussah? Vermutlich hat sich hier das Verständnis gewandelt. Heute verstehen wir ja Versalien und Gemeine als Bestandteile des selben Alphabets, was strengenommen ahistorisch ist, da es sich um zwei Alphabete unterschiedlichen Herkommens handelt. Diese Sicht war damals noch präsenter, die Benutzung von Versalien wurde wohl im engeren Sinne noch als ein Schriftmischen verstanden — jedes Versal ein kleines Initial. Hatten wir nicht hier irgendwo schon einmal den historischen Fall diskutiert, daß geradstehende Versalien und cursive Gemeine gemischt wurden?
Minimalist Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Hatten wir nicht hier irgendwo schon einmal den historischen Fall diskutiert, daß geradstehende Versalien und cursive Gemeine gemischt wurden? :kopfkratz: Wie jetzt ...? Ich kenne das eigentlich eher so, dass bei einigen Kursiven die Versalien von Haus aus aufrecht sind ...?
Pachulke Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Ja, das meine ich. Auch wenn das technisch gesehen innerhalb eines Fonts stattfindet, ist es ja eigentlich doch ein Schriftmischen.
Minimalist Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Das stimmt wohl Wobei ich meine mal irgendwann gelesen zu haben, dass das ursprünglich mal immer oder zumindest sehr häufig so gehalten wurde ... Da kann ich mich aber auch irren
Erwin Krump Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Warum wurde das im Bleisatz so gehandhabt? Ich gehe davon aus, dass man bei der Digitalisierung nicht wesentlich in die Strichstärken der Versalien und Gemeinen eingegriffen hat. Und warum hat man es bei der Digitalisierung nicht korrigiert und die Strichstärken angepasst? Wollte man möglichst nah am Original bleiben? Die kräftiger gezeichneten Versalien sollten die Satzanfänge sowie Namen in subtiler Weise betonen. Die Baskerville, entworfen vom englischen Typograph John Baskerville, weist extreme Strichstärkenunterschiede zwischen Versalien und Gemeine auf. Im Deutschen kam das wegen der vielen Hauptwörter weniger subtil zum Ausdruck. Je älter die Schriftentwürfe, desto größer fällt der Strichstärkenunterschied auf. Auch könnte die unterschiedliche Strichstärke in Zusammenhang mit der Technik des Buchdrucks zu finden sein. Im Buchdruck verfetteten die Quetschränder die Zeichen. Dieser Farbzuwachs wirkte sich auf die Kleinbuchstaben stärker aus, da deren Punzen und Öffnungen kleiner, als die der Versalien sind. Dies versuchten vielleicht die Schriftentwerfer durch fettere Großbuchstaben von vornherein auszugleichen, um im Druck ein gleichmäßiges Satzbild zu erzielen (Grauwert). Nachdem die Schriftentwürfe unserer Zeit auf zum Teil Jahrhunderte alte Vorbilder zurückgehen, wird oft dieses Stilmittel übernommen. 1
StefanB Geschrieben Februar 9, 2011 Themen-Ersteller Geschrieben Februar 9, 2011 Besten Dank für die letzten Beiträge! Die Erklärungen sind absolut logisch. Kann man davon ausgehen, dass Schriften wie die Monotype Grotesque seinerzeit ohne optische Anpassungen digitalisiert wurden, weil man statt der Schriftmuster die Matrizen zur Vorlage genommen hat? Vermutlich würde eine Monotype Grotesque Next heutzutage so nicht mehr veröffentlicht.
Erwin Krump Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Vermutlich würde eine Monotype Grotesque Next heutzutage so nicht mehr veröffentlicht. Das Verhältnis Versalien zu Minuskeln in Größe, Strichstärke etc. zählt ja u. a. zu den charakteristischen Merkmalen der jeweiligen Schrift. Es hängt von den Intentionen des jeweiligen Schriftgestalters ab, wie weit sich die Neuauflage einer Schrift vom Originalentwurf entfernt. Das kann eine originalgetreue Nachbildung des Jahrhunderte alten Originals sein oder aber auch nur eine Annäherung. Selbst bei völlig neuen Schriftentwürfen wird man sich nach den überlieferten Proportionen der Buchstaben zueinander orientieren. Dazu zählt auch das Verhältnis der Linienstärke der Versalien zu den Minuskeln. Zumindest bei Schriften für Mengentext. Ein interessantes Beispiel ist die in der Zeitschrift „ESCEHAERIEFTE“ zur Verwendung kommende Grundschrift Fabiol, deren Ausformung und Zurichtung sich am Druckbild der Inkunabeln orientieren.
Þorsten Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Nach allem was ich weiß sind das nur ausländische Schriften; wenn in einer Sprache ein Versal fast nur am Satzanfang und bei einigen ganz besonders wichtigen Wörtern vorkommt, hilft das schon, den Text optisch zu strukturieren. Die kräftiger gezeichneten Versalien sollten die Satzanfänge sowie Namen in subtiler Weise betonen. … Im Deutschen kam das wegen der vielen Hauptwörter weniger subtil zum Ausdruck. Als ich das gelesen habe, habe ich mich gefragt, wie das wohl bei Zeitungen wie der New York Times gewesen sein mag. Dort werden in Überschriften fast alle Wörter groß geschrieben, also deutlich mehr als im Deutschen. Das betrifft auch Zwischenüberschriften, die sehr lang sein können und oft ganze Sätze bilden. Eine kurze Suche hat mehrere Beispiele vom Anfang des letzten Jahrhunderts zutage gefördert, in denen es m.E. tatsächlich so aussieht, als ob die in einer Grotesken gesetzten Zwischenüberschriften tatsächlich mit leicht fetteren Versalien daherkommen. Was meint ihr?
Minimalist Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 Ich meine, dass das in dem Zusammenhang (Zeitung, Nachrichten, Blickfang, ohnehin bereits hervorgehobene [Groteske] Überschriften) gar nicht mal übel aussieht :) Wenn mir sowas in einem Fließtext begegnet nervt es mich eher, aber hier unterstützt es die Hervorhebung und ist auch nicht furchtbar übertrieben ... :)
Þorsten Geschrieben Februar 9, 2011 Geschrieben Februar 9, 2011 in dem Zusammenhang (Zeitung, Nachrichten, Blickfang, ohnehin bereits hervorgehobene [Groteske] Überschriften) gar nicht mal übel …[im] Fließtext … nervt es eher Vielleicht muss die These, dass das zum Hervorheben von Satzanfängen gedacht war, vielleicht wenigstens teilweise revidiert werden? Vielleicht war’s ja genau für solche Zwecke wie diesen Überschriften gedacht?
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