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Plakate aus 4 Jahrzehnten DDR

Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Hat jemand eine andere/bessere Übersicht gefunden als http://www.stiftung-plakat-ost.de/plakate/plak.htm? Dort sehe ich nicht gerade das, was ich für die hohe DDR-Plakatkunst halte.

Ich erinnere mich an eine Ausstellung Mitte der 80er in Havelberg mit Dutzenden mehr oder weniger subtil – aber für gelernte DDR-Bürger™ unübersehbar – regimekritischer Plakate. Von diesem vielleicht wichtigsten Genre der DDR-Plakatgestaltung ist kein einziges Beispiel zu sehen. :evil:

Geschrieben

Wieso bzw. in welcher Hinsicht sollten "regimekritische" Plakate in der DDR das "vielleicht wichtigste Genre der DDR-Plakatgestaltung" gewesen sein?

Gibts da jetzt ein Sonderbienchen für (nachträgliche) politische Correctness? Oder sollten ausgerechnet die herausragenden gestalterischen Ideen im Untergrund geblieben sein und offizielle DDR-Plakatkunst war mal wieder nur doof, wie das ja gelegentlich von einigen bildenden Künstlern und Möchtegernliteraten schon in Bezug auf Bildende Kunst und Literatur behauptet wird?

Geschrieben

Der DDR-Bürger war geübt, Zwischentöne wahrzunehmen in den offiziellen Verlautbarungen. Das fing schon damit an, wie sich der Funktionär "unsere Menschen" im Bild vorstellte und was Künstler dann aus ihren Aufträgen machten und wie sie, ihr Publikum kennend, Winke gaben, die verstand, wer wollte und konnte. Die verlinkte Übersicht zeigt den virtuosen Umgang mit dieser Bildsprache und grafischen Techniken.

Drei Beispiele:

Rudolf Skribelka zeigt den Stechschritt, und daß den die NVA pflegte, während die Bundeswehr am Wochenende blaumachte, wußten wir aus eigener Erfahrung.

Das Plakat von H.F. Büttner hat man, wenn man wollte, auf sich bezogen.

Der rote Spatz in dem FDJ-Liederplakat von Manfred "Bofi" Bofinger (der nie unter dem Verdacht des Opportunismus stand) streckt stramm die Faust aus, während die anderen Blödsinn machen.

Es war mitunter auch eine Kunst, solche Motive an den Funktionären vorbei zu publizieren.

Ich freue mich auf die Ausstellung, schaue ich mir nächste Woche an. Danke für den Tip!

Geschrieben
Dort sehe ich nicht gerade das, was ich für die hohe DDR-Plakatkunst halte.

Wie bitte? Die Plakate von Baltzer, Lubina, Büttner oder Bofinger

(um nur einige zu nennen) gehören zweifellos zu den besten Plakaten,

die jemals in Deutschland produziert wurden. Das erkenne ich

auch als gelernter Wessie neidlos an.

Geschrieben

Ich finde ja den Begriff "Genre regimekritischer Plakate" so spaßig. Bisher kannte ich nur "Theaterplakate", "Filmplakate", "Veranstaltungsplakate", "politische Plakate", "Arbeitsschutzplakate" etc. als Plakat-"Genres".

Wenn Plakate in der DDR offiziell gedruckt wurden (und das betraf ja bis auf einige wenige "Untergrundplakate" aus möglicherweise dissidentischer Künstlerszene praktisch alle Plakate, die in der Öffentlichkeit zu sehen waren), dann waren die von den geschätzten Kollegen oben erwähnten Anspielungen auch von den jeweils "Abnahme"-Verantwortlichen genehmigt. Nun sollte man sich aber nicht einbilden, dass diese "Zensoren" alle nur Idioten waren und alle Anspielungen nicht mitbekommen haben, sondern man könnte eben eingestehen, dass die DDR-Kulturpolitik halt doch nicht so ideologisch-stur gleichgeschaltet war wie man das heute im Nachhinein gerne darstellt. Das betrifft im Übrigen ja auch die Literatur, bildende Kunst, Theater, Filme usw. Die DDR war zumindest in den 70er und 80er Jahren nicht das, was wir uns heutzutage unter Nordkorea vorstellen. Und auch als "Nicht-Opportunist" war man nicht gleich "Regimekritiker" - es gab da glücklicherweise eine sehr breite und vielfältige Schicht dazwischen und das sollte man auch differenzierter als in Gut-Böse betrachten. Vermutlich würde kein "Regime" die gegen das eigene System gerichtete Propaganda selber machen ...

Es gab sicher offizielle "(Ost-)Regimekritische (Propaganda-)Plakate": im Westen, zumindest in der Adenauerzeit. Die waren aber - soweit ich sie kenne - nicht gerade die Höhepunkte deutscher Plakatgestaltung. Ob die aber ein eigenes "Genre" bilden?

Geschrieben

Ich kann die Darstellung von Gutenberger nur unterstreichen. Der Zensur-Apparat war ein kompliziertes Gebilde, und auch manch ein Leiter eines einer politischen Organisation angeschlossenen Verlages (beispielsweise hing der Kinderbuchverlag Berlin direkt an der FDJ und verstieß unentwegt gegen die Wunschbilder der spröden sozialistischen Pädagogik von Margot Honecker), also offiziell ein Staatsdiener, setzte trickreich Bücher durch, die nicht hundertprozentig der vorgegebenen Linie entsprachen. Wir waren durch die engen Familienbeziehungen nach Westdeutschland nie so abgeschottet wie Nordkorea, die Vorstellungen von Freiheit waren nie weg. Die Pflege des kulturellen Erbes war nicht nur ein ziviles Fähnchen der sozialistischen Ideologie, sondern auch eine starke Festung der Bürgerlichkeit, wovon die Buchkunst zeugt, aber auch jene Plakate, in denen es um klassisches Kulturgut geht. Wie wenig schematisch das Gesamtgebilde war, erlebte ich an der eigenen Biografie: Ich wurde einmal, als ich Anfang zwanzig war, für sieben Monate von insgesamt vierzehn Spitzeln überwacht und "bearbeitet". Einer dieser Inoffiziellen Mitarbeiter unternahm den Versuch, die Aufmerksamkeit auf mich zu reduzieren, indem er mich als uninteressant darstellte. Ein anderer, ein NVA-Oberst, also eigentlich ein "Hundertprozentiger", wurde von der Stasi nicht mehr als Informat in Anspruch genommen, weil er nicht eifrig genug meine Delinquenz verfolgte. Ein weiterer Oberst hetzte bei der Stasi gegen einen anderen, der meine Aufmüpfigkeit nicht hart genug verfolgt hätte. - Diese Diktatur ist auch deshalb ohne erhebliche Gewalt untergegangen, weil sie aufgeweicht war und in weiten Teilen ihre Überzeugung verloren hatte. Mit einem Schema nach Ideologen hie und Dissidenten da ist die DDR nicht zu verstehen. Das gilt auf unterschiedliche Weise für jede Diktatur, nehme ich an.

Geschrieben

Die Ausstellung ist phantastisch. In einem leerstehenden Haus die komplette zweite Etage um den Hof herum, zwei Stunden kann man ruhig mitbringen. So schnell nicht wieder zu sehen. DDR-Geschichte, großartige Gebrauchsgrafik, viele bekannte Namen, aus heutiger Sicht freilich komische Konsumwerbung, Hygiene, Gesundheit, lustiger Arbeitsschutz, Musik, Malerei, und von den plumpen Agit-Prop-Sachen fast nichts zu sehen. Eine große Ausstellung wird es im Frühjahr 2013 in Essen geben. Und es gibt einen Katalog mit 300 Plakaten, allen dieser Ausstellung für 20 Euro. Nochmals vielen Dank für den Hinweis!

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