Das Eszett der Russen

[Ralf Herrmann]

Sprache ist ein Träger nationaler Identität. Das ist bekannt. Dass ein regelrechter Kult um einen einzelnen Buchstaben gepflegt wird, ist allerdings eher selten. Eine Gruppe russischer Sprachpfleger hat sich zur Aufgabe gemacht, das 'Jo' vor dem Aussterben zu retten.

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/562778

[Phoibos]

Dem Wall Street Journal erklärte ein CIA-Sprecher per Email: 'An diesem Vorwurf ist nichts wahr. Unsere Behörde unterstützt den Gebrauch korrekter Grammatik und Aussprache in jeder Sprache.' Ein Dementi, dass Verschwörungstheoretiker aufhorchen lassen sollte.

Nachdem der Weltuntergang dieses Jahr so grandios in der Geschichte untergegangen ist, brauchen wir eine neue Verschwörungstheorie: Das Versaleszett ist eine Verschwörung des jüdisch-bolschewistischen Weltkapitals zur Untergrabung der Atlantiker-Rasse. Wie bringen wir da nur Ralf drin unter? Geheime Alphabetisierungstests der Nazis im Sächsischen? Sollte es nicht sogar N[sZ][/sZ] geheißen haben?

Das klingt nach spannenden Stunden im bierseligen Kreise derjenigen, die die Welt so sehen, wie sie ist. Oder widdewiddewar. Tolla hi tolla hey tolla hoppsasa.

Prost.

[Aleko Nedjalkow]

Präzisierung: Das kyrillische Alphabet gibt es nicht. Die meisten, wenn nicht alle kyrillischen Alphabete haben bestimmte Buchstaben, die den anderen fehlen.

[Georg Duffner]

Präzisierung: Das kyrillische Alphabet gibt es nicht. Die meisten, wenn nicht alle kyrillischen Alphabete haben bestimmte Buchstaben, die den anderen fehlen.

So gesehen gibt’s aber auch kein lateinisches Alphabet, denn nicht alle lateinischen Alphabete haben bestimmte Buchstaben, die den anderen fehlen.

[Ralf Herrmann]

Richtig. Ein lateinisches Alphabet gibt es auch nicht, sondern ein lateinisches und kyrillisches Schriftsystem.

Ein »Alphabet« ist ein ganz konkreter Zeichensatz innerhalb des Schriftsystems.

[Þorsten]

Ein lateinisches Alphabet gibt es auch nicht

Und welches Alphabet verwendet dann die Amtssprache des Vatikans?

Um zum Thema zurück zu kehren: ich habe im Russischunterricht gelernt, dass das ё nur in Texten geschrieben wird, die sich explizit an Russischlerner richten. Darum sollten wir uns nicht wundern, wenn es in Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern, die für erwachsene Muttersprachlern geschrieben wurden, nie auftaucht.

Ob sich das in den letzten 20 Jahren geändert hat, weiß ich nicht, aber zumindest zum Ende der Sowjetunion war es noch so.

Drei verschiedene russische Zeitungen von 1991; der Deutschen liebste Russe wird überall ohne Pünkte geschrieben:

http://yeltsincenter.ru/sites/default/files/digest/den-za-dnem-12-maya-1991-goda-3472.jpg

http://rusarchives.ru/statehood/images/10-09-gkchp.jpg

http://yeltsincenter.ru/sites/default/files/digest/den-za-dnem-23-aprelya-1991-goda-2955.jpg

(gefunden mit einer Google-Bildsuche nach »газета Горбачёв«)

[Þorsten]

Nachtrag: momentan scheinen die großen russischen Zeitungsverlage das ё uneinheitlich zu handhaben. So wie aussieht, verwenden es Moskowski Komsomolez und Komsomolskaja Prawda, während Trud und Rossijskaja gaseta – letztere offizielle Regierungszeitung – i.a.R. nur е schreiben.