Wie ist die Beziehung der DIN 1450 mit der WAI und den WCAG?

[Svenje]

Die Frage drängt sich auf nach der Lektüre des Artikels:

http://www.typografie.info/3/page/artikel.htm/_/wissen/din1450-leserlichkeit

 

Die WCAG 2: http://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/

 

Es wäre wünschenswert, dass die "Techniken" der WCAG 2 einige der in der Norm definierten Details aufnehmen würden. Dies hilft sehr vielen Menschen, da die WCAG 2 die internationale und öffentliche Referenz sind für barrierefreie Webinhalte. In vielen Ländern sind sie gesetzlich wirksam, z.B. in der Schweiz.

[Ralf Herrmann]

Bildschirminhalte sind in der DIN 1450 bewusst ausgeklammert. Die Prinzipien sind zwar die gleichen, aber zwischen die Norm und das, was der Leser sieht, schiebt sich dann das endlose Feld der Darstellungstechnik. Hardware, Auflösung, Kantenglättung des OS usw. Das ist ein Fass ohne Boden. So eine Grundlagennorm kann das nicht abdecken. 

 

Die DIN-Norm zur ISO-Norm zu machen und damit auch international bedeutsamer, ist durchaus angedacht. Aber das müssen die zuständigen ISO-Gremien entscheiden. 

[Svenje]

Bei der Auswahl von Webfonts bin ich eben auf den Webfont Neue Frutiger gestossen, der auf die Barrierefreiheit in der DIN Norm 1450 verweist, siehe: http://www.linotype.com/de/6989/neuefrutiger1450.html?lang=de

 

Da geht es natürlich um Barrierefreiheit. Offenbar ist die Bildschirm-Barrierefreiheit aber einfach mitgemeint und nicht explizit. Es würde mich interessieren, was weiter passiert um diese Norm für Bildschirminhalte greifbar zu machen.

[Yatil]

Wie Ralf schon sagt ist die Anwendung der entsprechenden DIN-Vorschriften auf Bildschirme nicht so einfach (ohne die Richtlinie im Einzelnen zu kennen, da hinter Paywall), hinzu kommt, dass Benutzer digitaler Medien natürlich viel mehr Möglichkeiten Schrift und Inhalte an ihre Bedürfnisse anzupassen. So definiert WCAG, dass Schrift bis auf 200% vergrößert werden können muss.

 

Nutzer können auch Kontraste individuell erhöhen oder gänzlich andere Schriftarten nutzen, sollten sie nicht mit dem Standardvorschag einer Website einverstanden sein. WCAG 2.0 zielt darauf ab diese Flexibilität zu erhalten statt genauere Vorschriften zur Nutzung von einzelnen Schriftschnitten und Größen vorzugeben.

 

Wir (= W3C/WAI) sind gerade dabei die Arbeitsfelder in den nächsten Jahren abzustecken, Typografie und Lesbarkeit gehört auf jeden Fall dazu, vor allem im Hinblick auf sog. Low-Vision-User, also Menschen, für die eine Vergrößerung von 200% nicht ausreichend ist. Meine Kollegin Shawn hat da schon Grundlagen herausgearbeitet: http://www.tader.info/

 

(Disclaimer: Ich arbeite bei der W3C Web Accessibility Initiative. Die Ansichten sind meine eigenen.

[Svenje]

Gerade die Unterscheidbarkeit der Zeichen wäre sehr hilfreich für alle visuell arbeitenden Bildschirm-User, z.B.: I und l oder 0 und O.

 

Das finde ich hier nirgends: Advisory techniques for SC 1.4.8: http://www.w3.org/WAI/WCAG20/quickref/#qr-visual-audio-contrast-visual-presentation

 

Vielleicht bekommt die WAI eine Ausgabe der DIN 1450?

[Albert-Jan Pool]

Gerade die Unterscheidbarkeit der Zeichen wäre sehr hilfreich für alle visuell arbeitenden Bildschirm-User, z.B.: I und l oder 0 und O.

 

Hallo, ich habe (u.A: mit Ralf Herrmann) an der DIN 1450 mitgearbeitet. Zu der in der DIN 1450 im nicht-normativen(!) Anhang angeregte Unterscheidbarkeit von 1, I und l sowie 0 und O folgendes: Die DIN 1450 empfiehlt klar unterscheidbare Zeichen (Null mit Schrägstrich usw.) für Fällen wo der Kontext worin diese Zeichen eingesetzt wird, nicht hergeben kann ob es sich hierbei um Zeichen oder Zahlen handelt. In den meisten Fällen ist es so, dass der Kontext dieses hergibt. Um Verwechslung auszuschließen, sollte in erster Linie der Kontext überdacht und entsprechend definiert und gestaltet werden. Autokennzeichen, BIC, Postleitzahlen, Captas usw könnten alle so definiert werden, dass hierin entweder nur Zahlen oder nur Buchstaben vorkommen, oder dass jede Untergruppe von Zeichen entweder nur Zahlen oder nur Buchstaben enthalten darf. In vielen Fällen ist es möglich, Kodierungssysteme so zu definieren, dass beispielsweise die Buchstaben I und O weggelassen werden (Niederländische Autokennzeichen und Ausweiskennungen funktionieren so), damit diese nicht mit 1 und 0 verwechselt werden können. Oder eben andersrum. Meiner Meinung nach sollte in Richtlinien vielmehr auf diese Möglichkeiten hinweisen, als dass spezielle Schriften gefordert werden. Die Schrift Neue Frutiger 1450 (nicht nur Webfont) ist eine Variante der Neue Frutiger und ist auf Initiative der Firma Linotype (jetzt Monotype) erarbeitet worden. Die DIN 1450 empfiehlt für bestimmte Textarten die Anwendung von Schriften wie die (Neue) Frutiger. Sie trifft aber keine Aussage über die Neue Frutiger 1450, nicht zuletzt weil diese Schrift erst nach Redaktionsschluss erschienen ist.

 

 Vielleicht bekommt die WAI eine Ausgabe der DIN 1450?

Normalerweise sind Normen (egal ob ISO oder DIN) kostenpflichtig. So funktioniert nun mal die Finanzierung der Normenarbeit. Die Mitglieder der Ausschüsse bekommen übrigens keinerlei Vergütung für ihre Arbeit. Alle Normen können kostenlos in den Normenauslegstellen eingesehen werden: http://www.beuth.de/de/rubrik/auslegestellen Die Überarbeitung der DIN 1450 ist übrigens von der DBSV http://www.dbsv.org initiiert worden. Es ist schade, dass deutsche Mitglieder des W3C WAI sich bisher nicht an der Überarbeitung der DIN 1450 beteiligt haben. Sollte es zu einem ISO-Proposal kommen, dann nehme ich an, dass sich darüber eine Gelegenheit bietet wobei diese Organisationen bzw. deren Mitglieder sich einbringen können.