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Schmiedeeiserne Ziffern einer historischen Sonnenuhr restaurieren = Welche Schrift?

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Geschrieben

Der Nationalismus hat nicht 1933 begonnen, all diese Schriften (die verhunzten, schmalen, engen, düsteren) sind aus einem Geist geboren. Findet man auch nur eine von ihnen im Werk eines namhaften Gestalters der damaligen oder einer späteren Zeit? Natürlich ist das eine Weiterentwicklung, aber daß das Bauhaus dabei eine Rolle gespielt haben könnte, bezweifle ich. Hat man im Bauhaus mit gebrochenen Schriften hantiert? Elementare Typografie mit Tannenberg? Aber diese Diskussion verfolge ich nicht weiter, das ist langweilige Wiederholung. Zumal wenn bei einer geäußerten Meinung »Polemik« gerufen wird. Ich bin nicht so furchteinflößend und mächtig, daß man meine kleine Meinung nicht einfach aushalten könnte und zu rhetorischen Knüppeln greifen muß. Ich muß auch aushalten, wenn jemand diesen Monstrositäten auch nur irgend einen Wert beimißt.

Die gezeigte Black No 284 ist natürlich keine Schaftstiefelgrotesk.

Der Begriff Neugotisch ist im übrigen schon im 19. Jahrhundert besetzt worden, damit haben diese fetten engen schmucklosen deutschen Schriften nichts zu tun. Sie waren auch nie breit in Mode, sie tauchten für ein paar Jahre auf und verschwanden schnell wieder.

 

Was mich aber nun interessieren würde: Ich habe es ja eingangs nur als Vermutung geäußert, daß es in der Welt der gebrochenen Schriften nur bei den Schaftstiefelgrotesken gebrochene Ziffern geben würde. Ist das denn tatsächlich so?

Geschrieben

du stellst leider immer mehr behauptungen auf, die so nicht stimmen.

vs.

 

(…) da spielen natürlich auch einflüsse von arts and craft und bauhaus eine rolle. (…)

Gibt es für diese Behauptung eine fundierte Grundlage? So diametral, wie sich die beiden Strömungen zueinander verhalten, wage ich zu bezweifeln, dass sie einen konkreten Einfluss auf die Ausbildung der »schlichten Gotisch« hatten.
  • Gefällt 1
Geschrieben
und zu rhetorischen Knüppeln greifen muß

 

tja, leider machst du das aber auch immer wieder.

deine verbitterte art über dinge herzuziehen die dir nicht gefallen, haben leider immer eine polemischen unterton, das zieht sich teilweise durch viele deiner beiträge.

verhunzten schriften, monstrositäten usw. das macht eine dikussion mit dir schwierig aber die willst du ja eh nicht führen.

 

vielleicht nicht das bauhaus direkt aber die ganze damalige zeit haben bei der entwicklung dieser schriften eine große rolle gespielt. der übergang von fraktur zur klaren sachlichkeit, fraktur-antiqua streit usw. einerseits wollte man sich von der fraktur verabschieden anderseits hat man mit hybriden gespielt.

natürlich tauchten diese nur eine paar jahre auf aber das liegt einfach in der entwicklung der schrift, sie waren ein zwischenschritt bzw. das ende einer ära.

 

Findet man auch nur eine von ihnen im Werk eines namhaften Gestalters der damaligen oder einer späteren Zeit?

 

definiere werk.

natürlich haben einige diese 'hybriden' bis heute überlebt. das apotheken-A ist ein gutes beispiel. aber es gibt auch andere beispiele wie straßenschilder und logos die heute noch genutzt werden. sicherlich spielten bei der gestaltung und vermarktung dieser typen auch die aktuelle politische lage eine entscheidung, darum sind diese schriften auch fast ausschließlich im deutschen sprachraum zu finden, schade das du nicht erläuterst aus welchem geist diese typen geboren wurden, wenn du es schon in den raum stellst.

 

diese schriften haben genauso ihren stellenwert in der schriftentwicklung wie andere vor ihr. tut mir für dich leid, das es neben der unger-fraktur auch noch andere gebrochene schriften gab.

 

paul renner hat nach der futura die ballade erschaffen, eine schrift, die ebenfalls die alten gebrochenen schriften in eine neue zeit transportieren sollten. sie kommt nicht ganz so streng daher wie die tannenberg aber hat trotzdem den anspruch eine 'klare' schrift zu sein. ich hab das vorwort aus der schriftprobe der ballade mal hochgeladen, eventuell interessiert es dich ja, unger wird auch erwähnt ;-)

 

https://www.flickr.com/photos/romibello/21276837176

 

das der weg von fraktur zur antiqua und neuen sachlichkeit auch andersherum versucht wurde zeigt übrigens der entwurf der krimhild, hier das vorwort aus der probe von ludwig & mayer:

 

https://www.flickr.com/photos/romibello/20680560234

Geschrieben

vs.

 

Gibt es für diese Behauptung eine fundierte Grundlage? So diametral, wie sich die beiden Strömungen zueinander verhalten, wage ich zu bezweifeln, dass sie einen konkreten Einfluss auf die Ausbildung der »schlichten Gotisch« hatten.

 

diverse vorworte aus schriftmustern die auf die 'neue sachlichkeit' eingehen aber auch die art und weise wie die schriften beworben wurden, das hatte teilweise schon bauhaus-niveau.

ich würde es nicht an diesen beiden stilen festmachen, sondern an der zeit generell. ähnlich wie heute hat man von hier und da einflüsse wahrgenommen, welche sich natürlich auch die damaligen schriftgestalter angenommen haben.

Geschrieben

Was mich aber nun interessieren würde: Ich habe es ja eingangs nur als Vermutung geäußert, daß es in der Welt der gebrochenen Schriften nur bei den Schaftstiefelgrotesken gebrochene Ziffern geben würde. Ist das denn tatsächlich so?

 

nein, einige der 'engravers old english' versionen haben gebrochene ziffern und auf die schnelle habe ich noch die 'inland copperplate' gefunden. gibt aber sicher noch einige mehr.

Geschrieben

Die Ballade ist viel mehr an der Schwabacher orientiert und hat mit den Schaftstiefels nicht das geringste gemein. Der Text von Hölscher, dem Funktionär der Reichsschrifttumkammer, ist allerdings widerlichste Nazipropaganda. Was 1937 unter Spiegelung des Zeitwollens, dem sich kein Kunstschaffender entziehen könne (Kunst als nationale Aufgabe), zu verstehen war, oder unter der unbeirrbaren männlichen Haltung, das ist heute nur zu gut bekannt. In diesem Jahr, 1937, wurde den Juden die Verwendung der Fraktur verboten. Diese Werbetexte der Schriftgießereien sind Zeugnisse der politischen Unterwürfigkeit, Kriechertum zum Betriebserhalt, das Heulen mit den Wölfen oder durchaus auch die damals bekanntlich weit verbreitete innere Überzeugung. Die Krimhilde erschien 1933 (!), und dazu schreibt die Gießerei, die Fraktur habe schneller, als man habe erwarten können, eine größere Bedeutung gewonnen. Das war die Linie von Innenminister Frick, der 1933 (!) den Vorrang der »deutschen Schrift« postulierte. Was bringst du hier für Argumente? Was soll man denn aus diesen Gießereitexten lesen? Eine seriöse Bewertung der von den Nazis verlangten und zu ihrem ästhetischen Anspruch passenden Schriften? Schriften, die man in Fassaden von Albert Speer meißeln konnte.

Was ich mit »Werk« meine? Es gab damals eine Reihe von bis heute bekannten Buchkünstlern und Gebrauchsgrafikern. Die haben gearbeitet. Werke geschaffen. Bücher und Magazine. Ob wohl ein Tiemann, Schneidler, Poeschel usw. jemals eine Schaftstiefelgrotesk verwendet haben, das war meine Frage. Sicherlich nicht. Auch nach dieser Zeit hat das sicherlich niemand von Rang und Namen getan. Straßenschilder sind ganz gewiß keine »Werke«, Signete möglicherweise, aber da wird sich schwerlich was gutes finden. Eine Biermarke? Das Apotheken-Zeichen ist ein Nazi-Erbe. Es wurde vom Reichsapothekenführer 1937 in Deutschland durchgesetzt, nachdem es im Jahr zuvor als Entwurf von einem Werbegrafiker einen Wettbewerb gewonnen hatte. Ganz im Geist der Zeit. Damals noch mit Rune statt Äskulapschlange. Damit wurden die Apotheken staatlich auf grafische Linie gebracht, und daß wir es heute noch sehen müssen, wenn auch ganz leicht bearbeitet, ist eine Schande.

Wer nicht sehen will, welchen Geist diese Schriften wiederspiegeln (Spiegelung des Zeitwollens, Hölscher hat das direkt poetisch ausgedrückt), dem will ich es nicht erklären.

Geschrieben

einige der 'engravers old english' versionen haben gebrochene ziffern und auf die schnelle habe ich noch die 'inland copperplate' gefunden.

Danke! An solche Ziffern meinte ich mich dunkel zu erinnern, gerade auch hier aus Amerika.

 

Was soll man denn aus diesen Gießereitexten lesen?

Den Kontext, in dem diese Schriften entstanden und ihre zeitgenössische Aufnahme? :-?

 

Dass diese Schriften sowohl Entwicklungen der Moderne aufgriffen als auch völkische Ideologie zu bedienten suchten, scheint mir ziemlich offensichtlich. Warum soll das unmöglich sein? Mein Opa hat Möbel entworfen und gebaut, die in keinem Bauhausmuseum auffallen würden. Leider war er trotzdem überzeugter Nazi. Offensichtlich bestand da für ihn keinen Widerspruch. (Der Horror des Krieges hat ihn, auch schon während des deutschen Vormarsches in die Sowjetunion, dann von der Ideologie der Nazis kuriert.)

Geschrieben
Was bringst du hier für Argumente?

 

zeitzeugnisse, nicht mehr und nicht weniger.

nur weil 'der nazi' ein vorwort geschrieben hat sind es doch keine schlechten schriften. ich habe auch nicht behauptet das diese schriften nicht politisch aufgeladen sind, sondern mir geht es darum das diese schriften ein spiegel ihrer zeit sind und ein zeichen des schriftwandels.

 

ich bin auch nicht mit der nazikeule gekommen sondern habe nur peter verbessert, der meinte das "Schaftstiefler in der Regel runde Ziffern besitzen" das ist schlichtweg falsch.

Geschrieben

Na zumindest sind wir uns ja einig, dass diese Schriften eben keine Nazi-Produkte sind, sondern eben zumeist schon früher entworfen wurden bzw auf früheren Entwicklingen logisch folgten. Nur teilen sie eben das Schicksal der anderen grafischen Elemente des wahrscheinlich besten und erfolgreichsten CI aller Zeiten, denn das muss der Neid den Nazis schon lassen.

 

Und genau wie die eben auch nicht die Autobahn erfunden hatten, so haben sie eben auch nicht diesen Schriftstil erfunden - übrigens ja genau wie das Swastika

Geschrieben
Na zumindest sind wir uns ja einig, dass diese Schriften eben keine Nazi-Produkte sind

 

ich glaube das sieht martin nicht so und auch ich teile diese meinung nicht 100%ig.

es gibt hier kein gut/böse, schwarz/weiss – man muss die gesamt entwicklung sehen.

Geschrieben

Na zumindest sind wir uns ja einig, dass diese Schriften eben keine Nazi-Produkte sind, sondern eben zumeist schon früher entworfen wurden bzw auf früheren Entwicklingen logisch folgten.

Nö, das ist zu einfach. Sie sind, wie die Nazi-Ideologie selbst, Produkte ihrer Zeit – und von dieser nicht loszulösen. Und natürlich gab es auch in den 20er Jahren schon Nazis. Die sind 1933 ja nicht aus einem Paralleluniversum herein spaziert.

  • Gefällt 2
Geschrieben

Nur müssen die, die in den 20er bis 30er Jahren diese Schriften entwickelt haben keine Nazis gewesen sein, auch wenn damals deren Gedankengut eben gut ankahm, und das sogar in höchsten Kreisen im Ausland. Es ahnte ja kaum einer, was daraus wird, auch wenn man es, hätte man das Buch gelesen (was allerdings ob der literarischen Qualität kaum einer machte) sehr wohl erkennen können, worauf das hinaus läuft.

 

Im übrigen kommen mir heute viel geäußerte Aussagen sehr ähnlich dem von Damals gesagten vor, nur dass es jetzt gegen eine andere Morgenländische Religionsgemeinschaft gerichtet ist. Die Verhältnisse waren aber ähnlich: Vertriebene, die in diesem Fall vor der Verfolgung im vorrevolutionären Russland nach deutschland kamen, und da dann durch ihre religiösen Bräuche und Kleidersitten auffielen... Nur gut, das die Aufhetzer heute kein so stimmiges CI und eine charismatische Führerperson haben.

Geschrieben

Na zumindest sind wir uns ja einig, dass diese Schriften eben keine Nazi-Produkte sind, sondern eben zumeist schon früher entworfen wurden bzw auf früheren Entwicklingen logisch folgten. Nur teilen sie eben das Schicksal der anderen grafischen Elemente des wahrscheinlich besten und erfolgreichsten CI aller Zeiten, denn das muss der Neid den Nazis schon lassen.

 

Und genau wie die eben auch nicht die Autobahn erfunden hatten, so haben sie eben auch nicht diesen Schriftstil erfunden - übrigens ja genau wie das Swastika

Wir sind uns ganz gewiß uneinig. Die Schaftstiefelgrotesken sind nationalistische Auswüchse ohne künstlerischen Wert. Daß sie mit der Bauhaus-Moderne zu tun haben, ist nicht wahr. Die Gotik ist kein Teil der Moderne. Die Nazis haben die Bauhäusler als »Kulturbolschewisten« verfolgt (gibt bekanntlich ein schmales Buch von Paul Renner dazu), die gehörten zu den Entarteten. Die künstlerische Moderne lag in der Neuen Typografie, nicht in der Gotik. Einen Zusammenhang zwischen Schaftstiefelschriften und Bauhaus herzustellen, ist entweder zynisch oder die Folge von unzureichender Information. Die Schaftstiefelschriften haben auch nach wenigen Jahren den Reiz für die Nazis verloren, die Reden von Hitler zu dem Thema dürften bekannt sein. Sogar er hielt diese Schriften für unmodern, sie waren bis 1941 ein nützliches Werkzeug in der Propaganda. Und ich sage es nochmals, bislang unwidersprochen: sie sind in hundert Jahren für kein einziges bleibendes Werk eines namhaften Typografen verwendet worden. Im Gegenteil, wenn sie überhaupt nur erwähnt wurden, dann mit tiefster Abneigung, ob nun bei Tschichold, Kapr oder Willberg. Ob sich Tiemann und Poeschel überhaupt dazu äußerten, weiß ich nicht. Es gibt auch keinen einzigen bedeutenden Schriftkünstler, der sich der Urheberschaft einer Schaftstiefelschrift schämen müßte.

Geschrieben

Na zumindest sind wir uns ja einig, dass diese Schriften eben keine Nazi-Produkte sind, sondern eben zumeist schon früher entworfen wurden …

Wie oben schon gesagt: Bitte belegen! Deine Aussage suggeriert, dass mehr als eine der Schaftstiefelgrotesken schon deutlich vor 1933 gezeichnet worden wären. Mir wäre das neu und es wäre schon eine hochinteressanter Fund. Ich fürchte aber, es ist schlicht nicht wahr. 

 

Und genau wie die eben auch nicht die Autobahn erfunden hatten, so haben sie eben auch nicht diesen Schriftstil erfunden …

 

Natürlich nicht. »Nazischriften« beschreibt vor allem eine Assoziation. Deren Existenz kann man nicht abstreiten. 

 

 

Wir sind uns ganz gewiß uneinig. Die Schaftstiefelgrotesken sind nationalistische Auswüchse ohne künstlerischen Wert. Daß sie mit der Moderne zu tun haben, ist nicht wahr. Die Gotik ist kein Teil der Moderne.

*staun*

Du gibst den historisch/gestalterisch bewanderten, wendest dann aber hier so eine kurzsichtige Logik an. Die Moderne, die sich grafisch unter anderem durch Reduktion und Verzicht auf Dekoration ausdrückte, konnte man auf verschiedenste Dinge applizieren, also auch auf Skelette gebrochener Schriften. Und genau dies tat man. Man modernisierte die gebrochene Schrift. Das ist doch die ureigenste Bedeutung des Wortes. Man nahm etwas altes und passte es den Gegebenheiten der Gegenwart an. 

Zumal ja auch der Gattungsbegriff der Gotischen hier gar nicht so klar ist. Einige sagen ja bewusst eher »gebrochene Grotesk« und es finden sich, wie Robert schon gesagt hat, auch viele Hybridprinzipien in den Buchstabenformen als Teil der Modernisierung. »Es sind gotische Schriften und damit können sie nichts mit der Moderne zu tun haben« ist viel zu kurz gedacht und beschreibt nicht treffend, was damals geschah. 

 

Im Gegenteil, wenn sie überhaupt nur erwähnt wurden, dann mit tiefster Abneigung, ob nun bei Tschichold, Kapr oder Willberg.

Es ist halt schwer, Schriftformen von etablierten Anwendungen zu trennen. Nur weil dir das aber auch nicht gelingt, wird es inhaltlich aber noch lange nicht wahr. Die Worte die du wählst, und die Robert dann als polemisch (also kaum sachlich belegbar) bezeichnete, legen nahe, dass du in ebensolchen Denkmustern operierst. 

 

Übrigens hat Willberg seine diesbezüglichen Aussagen (und die von Kapr gleich mit) später wieder in Frage gestellt:

 

So habe ich anderenorts ausführlicher berichtet, so hat Albert Kapr, so Hans Andre es beschrieben, so steht es in der Fachliteratur.

Doch was den ersten Punkt betrifft, den Schriftmord durch die Brutalisierung der Form, sind mir inzwischen gleich zweifache Zweifel gekommen.

Sollte der Textur nicht recht sein, was der Grotesk billig ist? Die Grotesk, speziell die Futura (1928) erschienen, feiern wir als Meisterleistung der Abstraktion, der Reduzierung der Antiqua-Formen auf die Grundform unter Verzicht auf alles Überflüssige. Eine künstlerisch und intellektuell epochale Tat. Bei der Reduzierung auf die Grundform unter Verzicht auf alles Überflüssige sprechen wir im Fall der ungefähr gleichzeitig entstandenen »schlichten Gotisch« von brutaler Vergröberung. Ist das redlich oder schiebt sich das Gefühl vor die Analyse?

 

Ich denke, Willberg tat gut an diesem Sinneswandel. 

 

Und ich sage es nochmals, bislang unwidersprochen: sie sind in hundert Jahren für kein einziges bleibendes Werk eines namhaften Typografen verwendet worden

Natürlich ist es unwidersprochen, weil es ein Scheinargument ist. Vor 100 Jahren gab es die schlichten Gotisch noch nicht einmal und wenige Jahre nach der Schaffung dieser Kategorie wurde die gesamte Oberkategorie als Gebrauchsschrift hinweggefegt. Hinzu kommt die durch die Anwendung geprägte und bis heute vorhandene Assoziation als Nazischriften, die anderweitige Anwendungen schwer machen. Der mögliche Anwendungsbereich ist minimal. Was aber übrigens auch für die reduzierten Antiqua-Formen der Zeit gilt. Wie often werden denn die reduzierten Entwürfe von Bayer oder Tschichold für »bleibende Werke« eingesetzt?

Den Schriften Wert abzusprechen, weil ihre Einsatzmöglichkeiten beschränkt sind, ist ein etwas seltsames Argument.  

  • Gefällt 4
Geschrieben

Bayer (»Die neue Linie«) und Tschichold (»Elementare Typographie«) waren selbst schon Größen. Und selbst Renners Ur-Futura mit den abstrus konstruierten Minuskeln kam in die Buchkunst, etwa bei Henry van de Velde. Mit Jugendstil-Ledereinbänden. Die Schlichtgotischen können keinerlei ähnliche Referenzen aufweisen. Und natürlich heißt das was. Warum sollte es nichts heißen, wenn alle (oder fast alle?) bedeutenden Gestalter eine Schriftgattung rechts liegenlassen? Wir haben in der DDR keine Hemmungen gehabt, gebrochene Schriften einzusetzen. Unsere namhaften Buchgestalter und Gebrauchsgrafiker haben damit gearbeitet. Aber ich kenne kein Beispiel für ein Werk mit einer Brachialgotischen. Und ganz gewiß hat das Bedeutung, Folgerichtigkeit und Sinn.

 

Daß die Gotische modernisiert worden wäre durch das bloße Abbrechen des Schmuckes, ist wiederum eine bloße Meinung. Wenn man in Berlin bei der Altbausanierung den Stuck abbricht oder mit Styropor überklebt, nennt man das auch Modernisierung. Was du über Hybridprinzipien sagst, würde ich dich auszuführen bitten, ich weiß nicht, was du meinst. Ich kann das nicht erkennen.

 

Willberg hat hier nur eine Frage formuliert, keinen Sinneswandel. Das ist eine Fehlinterpretation. Er spricht von Zweifeln. Es gab ja durchaus vereinfachte gebrochene Schriften, auf die man diese Überlegung beziehen kann. Aber die Schlichtgotischen sind besonders schwer, besonders dunkel, besonders eng. Wenn man Gotische nur vereinfacht, müssen sie nicht derart düster werden. Die Brachialgotischen haben sich von der Gotik entfernt, um in ein nationales, herrschsüchtiges, kriegerisches Bild der Moderne zu gleiten. Man hätte ja auch Frakturschriften modernisieren können, denn das waren schließlich die Alltagsschriften, die man in den Zeitungen sah. Paul Renners Ballade ist eben keine Gotische. Der Rückgriff auf die ältere Form war Absicht. Man wollte Deutschtum und Ansprüche vermitteln. Während die Futura als internationale Schrift schon geplant wurde, wußte bei den Brachialgotischen jeder, daß niemand in der Welt sie würde haben wollen, man gab ihne die entsprechenden aggressiven nationalen Provinznamen. Willberg kann sich zu seinen Zweifeln nicht mehr äußern, leider. Aber mehr als Zweifel waren es nicht. Die Analyse hat er nicht erneuert.

 

Der Begriff der »gebrochenen Grotesk« ist unsinnig. Der Begriff der Grotesk ist ja schon recht willkürlich und wirr und in der Bedeutungsherleitung unklar, aber in Bezug auf die Brachialgotischen sinnlos. Grotesk beschreibt einen bestimmten Typ von Schrift, und weil vermeintlich ein anderer mit einem ähnlichen Anspruch entstanden sei, was man erst beweisen müßte, kann man den guten Ruf der einen nicht auf die begrenzten Auswüchse fehlgeleiteter Schriftgestalter anwenden. Dazu wäre eine ausführlichere Schriftanalyse nötig, die recht weit zurückginge, also zu den Anfängen der Serifenlosen, die man in England Grotesk nannte.

Nebenbei: Ich fange keine Sätze an mit "Ich verbitte mir", aber diese Diskussionsart, auf Wesenszüge des Andersmeinenden abzustellen, ihm Polemik, Dummheit, Fehlgeleitetsein usw. unterschieben zu wollen, ist schlechter Stil. Ich »gebe« mich nicht »bewandert«, ich habe ein paar Bücher gelesen und die Augen aufgehalten, wie andere Leute auch. Wenn andere Leute etwas sagen, was nicht meinen Ansichten entspricht, fange ich nicht an, ihre Persönlichkeit anzuknabbern, das ist lächerlich. Ich finde, man sollte sich Argumente an den Kopf werfen (oder auf den Tisch legen), aber nicht an der Reputation oder vermeintlichen Reputation, egal, des anderen herumzuschnitzen, ob man den irgendwie auf diese Art kleinkriegen kann.

  • Gefällt 1
Geschrieben

Keiner knabbert deine persönlichkeit an, Martin. Ich habe nur gesagt das ich in Deinen Postings immer eine Art Polemik herauslese. Und du legst ja auch selbst immer wieder eine Schippe drauf.

 

Daß die Gotische modernisiert worden wäre durch das bloße Abbrechen des Schmuckes, ist wiederum eine bloße Meinung. Wenn man in Berlin bei der Altbausanierung den Stuck abbricht oder mit Styropor überklebt, nennt man das auch Modernisierung.

 

Bleib doch bitte mal sachlich, immer diese schwachsinnigen Vergleiche machen es nicht leicht eine Diskussion zu führen. Ich schreib doch auch nicht das die Futura ist eigentlich eine Garamond ist, der die Serifen abgebrochen wurden.

 

sie sind in hundert Jahren für kein einziges bleibendes Werk eines namhaften Typografen verwendet worden

 

Mag ja sein, kann natürlich auch noch andere Gründe haben. Vielleicht waren Sie dafür einfach nicht gemacht? Es sind plakative Schriften, Schriften die für Werbezwecke und Headlines entwurfen wurden, keine Buchschriften. Dazu kommt noch das die 'Normal-Schrift' eingeführt werden sollte, viele namenhafte Künstler emigriert sind, umgebracht wurden oder Berufsverbot hatten.

 

Die Frage die im Raum steht:

Wo fängt die Gotisch an, eine Schaftstiefelgrotesk zu werden? Dann könnte man eventuell auch das Jahr deckeln.

Geschrieben

Gut, ich steig dann auch aus, wenn du weiter so alberne Begriffe wie Brachialgotisch benutzt. Zumal es ja nicht mal stimmt. Der magere Schnitt einer schlichte Gotisch ist ja z.B. noch nicht mal besonders dunkel oder eng. 
 
 

Nebenbei: Ich fange keine Sätze an mit "Ich verbitte mir", aber diese Diskussionsart, auf Wesenszüge des Andersmeinenden abzustellen, ihm Polemik, Dummheit, Fehlgeleitetsein usw. unterschieben zu wollen, ist schlechter Stil. Ich »gebe« mich nicht »bewandert«, ich habe ein paar Bücher gelesen und die Augen aufgehalten, wie andere Leute auch.

 
 
Ich hab nur auf diesen Satz hier von dir geantwortet:

Einen Zusammenhang zwischen Schaftstiefelschriften und Bauhaus herzustellen, ist entweder zynisch oder die Folge von unzureichender Information.

 

 

Du unterstellt allen, die einen Zusammenhang zwischen Bauhaus und schlichter Gotisch sehen mangelndes Wissen – Wissen, dass du vermeintlich hast. Andere Möglichkeiten werden nicht gegeben. Wenn du so argumentierst, musst du nicht erwarten, im Gegenzug auch noch mit Samthandschuhen angefasst zu werden. 

Geschrieben

Es gibt auch keinen einzigen bedeutenden Schriftkünstler, der sich der Urheberschaft einer Schaftstiefelschrift schämen müßte.

 

Werbedeutsch, Herbert Thannhäuser – sicherlich nicht so schlicht wie eine Tannenberg aber eindeutig auf den Weg dahin.

Geschrieben

Liebingschrift

952_liebing_1.jpg

Kurt Liebing

Wagner, Leipzig, 1912

1934 als »Nürnberg« erneut veröffentlicht

 

1912 entworfen

Schaftstiefel? Neugotisch? Hybrid?

 

Was ist mit Kochs Anzeigenschrift, Jessenschrift und Wallau?

Die gehen alle in die Richtung 'beschnittene' Fraktur

Geschrieben

Thannhaeuser, ja. Auch seine Großdeutsch von 1935. Allerdings ist von seinem Gesamtwerk so gut wie nichts geblieben. Er hat keine Schrift gemacht, die zu großen Ehren kam, sondern auf anständige Weise den Bedarf der Gießereien befriedigt, für die er gearbeitet hat. Er hat zweifellos noch einen Namen, den er sich nach dem Krieg erarbeitet hatte, aber mit »bedeutend« meinte ich nicht diesen doch eher mittleren Rang. Gravira, Erler-Versalien, Meister-Antiqua und Meister-Schrift waren schöne Bleisatzarbeiten, sind aber heute nur noch marginal in Gebrauch (bei mir zum Beispiel).

 

Jessenschrift und Wallau haben doch mit Gotik nichts zu tun, oder bringe ich da jetzt was durcheinander? Haben die nicht schon Antiqua-Versalien? Die passen doch eher in den liturgischen Gebrauch.

 

Die Liebingschrift geht stark in die von mir inkriminierte Richtung. Da wäre eine Untersuchung interessant: wie kam es dazu, wer hat sie 1912 gekauft, wofür wurde sie in den 1910er und 20er Jahren verwendet.

Geschrieben
Jessenschrift und Wallau haben doch mit Gotik nichts zu tun, oder bringe ich da jetzt was durcheinander? Haben die nicht schon Antiqua-Versalien? Die passen doch eher in den liturgischen Gebrauch.

 

Liturgisch ja, sind ja auch alle von Rudolf Koch. Aber die Schriften sind auch eindeutige Hybriden, sieht man von den Antiqua-Versalien ab sind das schlichte, gotische Minuskeln (Jessenschrift). Man könnte sogar soweit gehen und sagen das diese als Vorlage/Orientierung für Tannenberg und Freunde gedient haben.

Geschrieben

Du unterstellt allen, die einen Zusammenhang zwischen Bauhaus und schlichter Gotisch sehen mangelndes Wissen – Wissen, dass du vermeintlich hast.

Mir fällt es allerdings auch schwer, einen direkten Zusammenhang zwischen Bauhaus und schlichter Gotisch zu finden. Oder befand sich einer der Gestalter der schlichten Gotisch im Dunstkreis des Bauhaus? Wo gibt es genau Schnittmengen?

Auch wenn man heute gerne vom großen Einfluss des Bauhauses und der elementaren Typografie auf die Schrift- und Buchkunst spricht – in der damaligen Zeit war davon tatsächlich wenig zu spüren.

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