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Die Schriftmuster der Welt in einer Datenbank …

Schriftmuster Tannenberg

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Geschrieben

Schon das zweite große Werk ohne nationalsozialistischen Bezug, wenn ich dessen Biographie überfliege... 

Weißt Du oder kannst Du nachschauen, ob der Mengentext auch in gebrochenen Lettern gedruckt wurde?

 

Da ich zur Zeit wegen eines Sch*** gebrochenen Fingers (sic) viel zu Fuß unterwegs bin, kann es gut sein daß ich da noch mal vorbeikomme, sonst wär mir das Schaufenster wahrscheinlich auch gar nicht aufgefallen (the all encompassing positive, ähem). Die Biografie von Freymueller scheint mir ziemlich der von Hans Scharoun zu ähneln, der hat im Nationalsozialismus auch hauptsächlich Privathäuser gebaut – ich hab mal – noch vor Mauerfall, als Brandenburg für West-Berliner noch so eine Art verwunschenes Land war – einem Freund geholfen fürs Scharoun Archiv diese überall um Berlin verteilten Villen aufzuspüren, naja, eine wars jedenfalls, allerdings war vor uns schon ein Amerikaner da, der dasselbe tat ;-)

 

Also wenn es die Originalausgabe von 1941/42 ist, ist die Titelgestaltung ja ganz im Zeitgeist – die »Bausünden« sind dann wohl eine kalligrafische Umsetzung nach dem Vorbild der Tannenberg, da es kein Satz ist. Wenn das Ziel der Publikation war, für den Wiederaufbau nach dem Krieg vorzubereiten, hat dann wohl leider die Mangelwirtschaft in Folge der Krieges beim Wiederaufbau dafür gesorgt, daß es zuhauf zu Baumängeln kam  (die evangelische Gemeinde hier hat mit ihrem Fehling Gogel Bau – http://www.fehlingundgogel.de/paul-gerhardt-kirche – jedenfalls ziemlich zu, äh, kämpfen …)

 

Hier noch ein zweites Bild aus dem schön dekorierten Fenster, so als Fußnote – hin zur »SSG«

 

dp7ogk.jpg

  • Gefällt 2
Geschrieben

Hier noch ein zweites Bild aus dem schön dekorierten Fenster, so als Fußnote – hin zur »SSG«

 

Diese Gegenüberstellung gefällt mir. ;-)

Und man zeige sie jetzt z.B. einem australischen Grafikdesigner, der von europäischer Geschichte keinen Schimmer hat. Würde er auch nur ansatzweise auf die Idee kommen, dass von diesen beiden Gotischen eine hässlich, plump, grobschlächtig etc. ist oder gar politische Ideologie widerspiegeln soll?

  • Gefällt 1
Geschrieben (bearbeitet)

Gewiß, wenn sich Schriftkritik nicht auf das Nörgeln an Comic Sans beschränkt.

 

PS: Was wäre es eigentlich für ein »Grafikdesigner«, der von »europäischer Geschichte keinen Schimmer hat«?

 

Edit: Zitat korrigiert

bearbeitet von Martin Z. Schröder
Geschrieben

Gewiß …

Sagst du. Ich behaupte das Gegenteil!

Ich kann dort formal-gestalterisch nichts dergleichen finden, was nicht aus extrapoliertem historischen Wissen stammen würde.

 

PS: Was wäre es eigentlich für ein »Grafikdesigner«, der von »europäischer Schriftgeschichte keine Ahnung hat«?

Es war ein Gedankenspiel. Sooo unrealistisch ist das Szenario aber gar nicht. Ich sagte übrigens nicht Schriftgeschichte, sondern Geschichte.

Geschrieben
von europäischer Geschichte keinen Schimmer hat

 

klar, ist natürlich auch ein Grund, ideologische Motivation bei der Entstehung der SSG nicht zu sehen.

 

Die gestalterische Beurteilung ist ja eh wieder eine andere Frage und eben auch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Mir gefallen sie auch nicht auch wenn ich in der Hinsicht die Wortwahl von Martin etwas übertrieben find. Hab auch nicht den Ehrgeiz zu ergründen ob sie mir ob ihrer (Entsehungs-)Geschichte nicht gefallen. Kann schon mitschwingen. Mag aber mir die Assoziation jetzt nicht austreiben. Schließlich ist es (auch) mein tägliches Geschäft zu spielen mit Assoziationen von Schrift.

Jetzt eine Schaftstiefelgrotesk in der Anwendung auf unbedenklich zu trimmen (was sicher geht) auch dazu fehlt mir der Eifer.

Auch weil es genügend Alternativen gibt. Ich brauch die Teile einfach nicht.

  • Gefällt 3
Geschrieben

Hab auch nicht den Ehrgeiz zu ergründen ob sie mir ob ihrer (Entsehungs-)Geschichte nicht gefallen. Kann schon mitschwingen.

Es reicht mir eigentlich schon als Ergebnis dieser Diskussion, dies herausgekitzelt zu haben.

Denn damit lägen die Positionen nahezu aller Diskutanten gar nicht mehr weit auseinander, weil sich letztlich alle einig sind, dass die Umstände die Entwicklung dieser Beschriften beeinflusst haben. Über das Ausmaß kann man unterschiedlicher Ansicht sein, aber dies ist nicht faktisch greifbar und somit gibt es da nicht mehr viel rauszuholen.

Martin fällt weiterhin raus mit diesem Reigen von starken Abwertungen und der Idee der in der Form manifestierten Ideologie. Auf formal-gestalterischer Ebene wurde das aber nicht wirklich begründet. Solange da keine neuen Argumente kommen, gibt es da nichts weiter zu diskutieren.

Die heutigen Assoziationen und Anwendungsmöglichkeiten sind eine völlig andere Frage als die Diskussion um die Entstehung. Insofern ist es auch nicht relevant, ob man die Schriften nun mag, braucht, sie mit oder gegen ihre Assoziationen anwendet oder was auch immer.

  • Gefällt 2
Geschrieben

Es reicht mir eigentlich schon als Ergebnis dieser Diskussion, dies herausgekitzelt zu haben.

Denn damit lägen die Positionen nahezu aller Diskutanten gar nicht mehr weit auseinander, weil sich letztlich alle einig sind, dass die Umstände die Entwicklung dieser Beschriften beeinflusst haben. Über das Ausmaß kann man unterschiedlicher Ansicht sein, aber dies ist nicht faktisch greifbar und somit gibt es da nicht mehr viel rauszuholen.

Martin fällt weiterhin raus mit diesem Reigen von starken Abwertungen und der Idee der in der Form manifestierten Ideologie. Auf formal-gestalterischer Ebene wurde das aber nicht wirklich begründet. Solange da keine neuen Argumente kommen, gibt es da nichts weiter zu diskutieren.

Erst Argumente ignorieren, um dann »neue« zu fordern – nein, da gibt es nichts zu diskutieren. Ob ich nun Tschichold, Kapr, Willberg zitiere oder es selbst mit anderen Worten sage: Es ficht die Liebhaber der Schaftstiefelgrotesken nicht an. So bleiben eben unterschiedliche Positionen stehen, wie ich schon sagte. Es gibt also Grafikdesigner, die finden Schaftstiefelgroteske auch heute noch »irgendwie gut« (genauer erfährt man es nicht, gelobt wird nur die Reduktion, ganz gleich, wie sie gemacht ist); ich gehöre zu denen, die eine Handvoll (mehr sind es ja nicht) von Schriften als häßlich und Nazischrift bezeichnen und damit nur die Kritik grob verkürzen, der diese Schriften und ihre Erschaffer seit je ausgesetzt sind.

Daß »Umstände« jede Entwicklung beeinflussen, ist eine Binsenweisheit, auf die man sich nicht »einigen« und die man nicht »herauskitzeln« muß.

Eine nützlichere Diskussion wäre nur mit ausführlichen Darlegungen in längeren Aufsätzen und anderen Medien auf breiterer Ebene sinnvoll, ohne Spontanbeiträge und Abschweifungen.

Geschrieben

Ob ich nun Tschichold, Kapr, Willberg zitiere oder es selbst mit anderen Worten sage: Es ficht die Liebhaber der Schaftstiefelgrotesken nicht an.

Ok, vier Menschen, die irgendwie "hässlich" sagen. Aber warum? Subjektive Eindrücke sind eine Sache, diese als objektivierbares Argument ästhetischer Natur hinzustellen, eine andere.

 

Ich mag das rauhe, ungeschliffene. Die Formen, die es mir erlauben, eine Gebrochene zu lesen, als ob es eine Antiqua wäre (oder anders: ich muss nicht aus dem Zusammenhang erschließen, welcher Buchstabe mir da repräsentiert wird). Die Betonung der Senkrechten, etwas was mir auch an gotischen Kathedralen gut gefällt. Also sowas wie eine Kathedrale ohne all den religiösen Kitsch, die Staubfänger, das ganze Geraffel, dass den nackten Baustoff hübscher machen soll. Natürlich darf San Marco zu Venedig jemandem gefallen, für mich ist es ein religiöses Disneyland. Die Hagia Sophia ist für mich primär durch die lichte Leere schön. Die Grotesk-Gotischen sind mir zu dunkel im normalen Schnitt, aber als mager oder halbmagere einfach nur schlicht und schön -- und dichter an meinen heutigen Erwartungen an Buchstabenrepräsentationen als Gotische sonst (was meiner Meinung auch den Erfolg moderner Interpretationen heutiger ausmacht).

  • Gefällt 1
Geschrieben

Daß »Umstände« jede Entwicklung beeinflussen, ist eine Binsenweisheit, auf die man sich nicht »einigen« und die man nicht »herauskitzeln« muß.

 

Versteht du mich wirklich immer so schwer oder schießt du absichtlich dauernd quer, weil wir in dieser Debatte vermeintliche Gegner sind? Das Herauskitzeln bezog sich auf die Anerkennung der Möglichkeit, dass die Assoziationen und Wissen über die Entstehung dieser Schriften die eigene Wahrnehmung dieser Gattung beeinflussen können. Das ist in Rahmen dieser Debatte ein ganz entscheidendes Element, da du ja schließlich auf etwas anderes abzielst – nämlich, dass jene Eigenschaften formalgestalterisch unabhängig von Assoziation und historischem Wissen vorhanden wären. 

 

Zweitens ist es Blödsinn hier von »Liebhabern der Schaftstiefelgrotesken« zu sprechen. Wir diskutieren fachlich und sachlich wie diese Schriften entstanden sind. Dafür sollte es völlig uninteressant sein, ob man diese Gattung mag oder nicht mag und ich habe mich dazu auch nicht im geringsten positioniert, gerade weil das nicht relevant ist. Wenn sich hier jemand auf gefühlsmäßiger Ebene zu diesen Schriften positioniert hat, dann warst du das. 

 

Und drittens werden Argumente nicht ignoriert. Sie werden bedacht und geprüft. Auf formal-gestalterischer Ebene behaupte ich, kam da recht wenig. Du hast es vor allem politisch-historisch versucht und Verweise auf Aussagen anderer gebracht, die aber wie deine Aussagen wenig belastbares liefern, sondern eben auf der besagten gefühlsmäßig-assoziativen Ebene agieren. Ein schlechtes Argument oder eine unwahre Tatsachenbehauptung wird aber nicht die Spur besser, nur weil sie ein bekannter Mann gesagt hat. 

 

Du kannst gerne versuchen den Reigen von abwertenden Begriffen formal zu begründen und zwar so, dass unser fiktiver australischer Kollege es schlüssig findet. Ich bin gespannt!

Solche Dinge, dass die Schriften irgendwie besonders dunkel und eng wären, gibt zum Beispiel einfach nichts her. Da braucht man nur die vielen anderen erfolgreichen und unpolitischen Schriften aus den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor vorzeigen, auf die das auch zutrifft und schon ist das Argument dahin. Übrigens gibt diese Schriftkategorie auch mehr her als nur Tannenberg fett. Mir scheint es manchmal so, als ob dies der einzige Maßstab ist, damit man die Beschreibungen der Grobheit und »gleichgeschalteten« Merkmale irgendwie passend bekommt. Die Schriften haben aber auch zarte magere Schnitte oder sind in der kompletten Familie kalligrafisch und detailverliebt gehalten, sodass die Vorurteile gegen diese Gattung dann schon von vornherein einfach nicht zutreffen. 

  • Gefällt 1
Geschrieben
Ich mag das rauhe, ungeschliffene

 

mag ich auch gern mal. Deshalb mag ich die geschliffene Akkuranz der Schaftstiefelgrotesken nicht. Haben für mich den Charme einer Abbrechklinge.

Die Formen, die es mir erlauben, eine Gebrochene zu lesen, als ob es eine Antiqua wäre

 

Tipp: Antiqua nehmen.

etwas was mir auch an gotischen Kathedralen gut gefällt

 

Was mir an gotischen Kathedralen gefällt ist ihre erstaunliche Leichtikeit. Für wachtürmig- wehrhafte Plumpheit mag ich ich mich weniger begeistern.

 

 

Die Grotesk-Gotischen sind mir zu dunkel im normalen Schnitt, aber als mager oder halbmagere einfach nur schlicht und schön

 

 Gab es bei den SSGen denn leichtere Schnitte?

  • Gefällt 2
Geschrieben

da du ja schließlich auf etwas anderes abzielst – nämlich, dass jene Eigenschaften formalgestalterisch unabhängig von Assoziation und historischem Wissen vorhanden wären. 

 

 

Ralf, ganz raff ich das auch nicht. Du unterstellst Martin er würd argumentieren, daß eine Form an sich schon idelogisch sein könnt? Daß die Tannenberg quasi die Ideologie auch in sich Trüge auch wenn es Nationalsozialismus nie gegeben hätt?

 

Das Herauskitzeln bezog sich auf die Anerkennung der Möglichkeit, dass die Assoziationen und Wissen über die Entstehung dieser Schriften die eigene Wahrnehmung dieser Gattung beeinflussen können.

 

 

Das gilt aber für alle Diskussionsteilnehmer und nicht nur für diejenigen, die ob eindeutiger Indizien eine ebensolche ideologische Behaftung der Schriften ausmachen. Um es gleich vorwegzunehmen: nein ich unterstell dir nicht das was Du glaubtest, daß ich Dir schonmal unterstellt hätt. (bei anderen bin ich mir nicht so sicher). Es sind auch andere Motive nicht auszuschließen. Z. B. sich als Schriftgestalter reflexhaft vor die Kollegen zu stellen.

Daß jetzt also nur der Blick der einen Seite getrübt wär und die andere Seite quasi ganz befreit-objektiv nur formalstilistisch urteilen könnt, ich glaub davon mußt Dich auch verabschieden.

  • Gefällt 1
Geschrieben
Am 30.10.2015 um 15:33 schrieb pürsti:

Gab es bei den SSGen denn leichtere Schnitte?

Am 30.10.2015 um 15:33 schrieb Ralf Herrmann:

…Die Schriften haben aber auch zarte magere Schnitte oder sind in der kompletten Familie kalligrafisch und detailverliebt gehalten, sodass die Vorurteile gegen diese Gattung dann schon von vornherein einfach nicht zutreffen.

Ein paar Beispiele:

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Und was debn Vorwurf der Monstrosität anbelangt, gilt das nicht oft  für ungewohnte und vom normalen, abweichende Schriftformen. Ich zitiere mal die Egytienne-Wiki-Seite: Im Journal für Buchdruckerkunst werden die Egyptienne-Schrifen beispielsweise als Monstrosität abgestempelt.

 

Und ja, auch für mich haben SSG etwas von Sichtbeton, kantig, hart und irgendwie grobschlachtig, aber trotzden setzen Architekten auch Sichtbeton gelegentlich sehr erfolgreich ein.

 

Ich habe grad gestern einen Bericht über eine Neunutzung eines Münchner Bunkers zu einem Wohn- und Veranstaltungshaus gesehen. Diese Dinger waren jetzt wirklich Nazi-Bauwerke, und sollten gar nicht schön sein. Etwas gröberes als diese Betonklötze mit 2m dicken Wänden kann man sich ja kaum vorstellen, Trotz dieser eindeutigen Nazi-Vergangenheit wurde sehr gelobt, dass der Architekt den ursprünglichen Sinn des gebäudes deutlich sichbar ließ.

  • Gefällt 2
Geschrieben

Und noch eine – rein stilistisch-gestalterische – Anmerkung zur Form der Buchstaben der Tannenberg sei mir erlaubt: Mir kommt beim Betrachten der Formen immer eine ganz andere Assoziation in den Sinn als die hier bisher geäußerten: Mich erinnern die Buchstaben an exakt gefaltete Papierstreifen, beziehungsweise wie deren planer Schattenwurf bei Licht von oben. Und mit der Papierassoziation erscheint die Schrift in ihrer formalen Strenge dann gar nicht martialisch und brutal, sondern eher akribisch und im Origami-Sinne beinahe … leicht.

  • Gefällt 4
Geschrieben

Ralf, ganz raff ich das auch nicht. Du unterstellst Martin er würd argumentieren, daß eine Form an sich schon idelogisch sein könnt?

Warum sollte ich was unterstellen oder entsprechende Unterstellungen erklären? Martin hat Thesen in den Raum gestellt, die diskutiert werden. Wenn sie nicht klar sind, musst du Martin fragen.

Geschrieben

Charme einer Abbrechklinge

Besser kann ich den Eindruck, den diese Schriften auf mich machen, nicht beschreiben.

 

Mich erinnern die Buchstaben an exakt gefaltete Papierstreifen

Interessant. Vielleicht wäre es mal einen Versuch wert, ein paar Papierstreifen zu nehmen, zu falten und zu sehen, welche Verrenkungen man machen muss, um annähernd die SSG-typischen Formen der komplexeren Buchstaben zu erreichen.

 

Auf mich wirken die SSG immer irgendwie verkrampft (auf Englisch würde ich sagen: forced, was in der Bedeutung etwa zwischen »erzwungen« und »gekünstelt« liegt). Ich vermute, weil ihre Schöpfer meinten, zwei Ziele verfolgen zu müssen: einerseits extreme Begradigung und andererseits Festhalten an Frakturformen (zumindest der Minuskeln), die sich anscheinend aber nur schlecht begradigen lassen. Das Ergebnis erscheint mir ein Sammelsurium fauler Kompromisse und weder leicht noch klar. :-?

  • Gefällt 1
Geschrieben

Auf mich wirken die SSG immer irgendwie verkrampft (auf Englisch würde ich sagen: forced, was in der Bedeutung etwa zwischen »erzwungen« und »gekünstelt« liegt). Ich vermute, weil ihre Schöpfer meinten, zwei Ziele verfolgen zu müssen: einerseits extreme Begradigung und andererseits Festhalten an Frakturformen (zumindest der Minuskeln), die sich anscheinend aber nur schlecht begradigen lassen. Das Ergebnis erscheint mir ein Sammelsurium fauler Kompromisse und weder leicht noch klar. :-?

 

Und schon sind wir wieder bei Willbergs später Einsicht bzw. Frage. Gilt dies nicht alles ebenso (oder teils sogar noch mehr) für die vorausgegangenen Experimente in der Antiqua? Bayers Universalschrift wird in jedem Buch gezeigt, dass sich mit der jüngeren Schriftentwicklung beschäftigt. Aber war das Ergebnis nicht auch voller fauler Kompromisse und funktionierte daher eigentlich gar nicht? Keine Gießerei machte ich auch nur die Mühe, so etwas als Satzschrift herauszubringen, weil diese »erzwungenen« Formen als Satzschrift völlig untauglich sind. Warum ist das nicht plump, hässlich usw.? Warum wird es im Gegenzug geradezu gefeiert?

 

 

Und jetzt im Gegenzug mal eine Schaftstiefelgrotesk. Ich nehme die Gotenburg, weil ich da das Musterheft von damals habe:

 

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Ich sehe da nichts extremes, plumpes, hässliches, grobschlächtiges usw., sondern eine Modernisierung, die in Falle dieser Schrift sogar kalligrafisch fein und sauber ausgearbeitet wurde. Hatte wohl nur das Pech zur »falschen« Zeit entstanden zu sein. Hätte Koch das 20 Jahre früher oder Zapf 20 Jahre später gezeichnet, wäre die Rezeption eine ganz andere.  

 

Übrigens lassen sich gebrochene Schriften sehr wohl gut begradigen. Das liegt schon in der Entstehungsgeschichte der Gattung mit der Gotischen Schrift als Ausgangsform, die der Antiqua ja auch noch sehr nahe steht. 

  • Gefällt 2
Geschrieben

Die serifenlose Antiqua ist nicht in der Moderne entstanden. Die erste Gußschrift gab es 1825, und als Inschrift und auf Münzen im 5. Jahrhundert vor Christus. Um 1780 in englischen Architektenplänen, 1916 in der Londoner U-Bahn. Die Schriften des 20. Jahrhundert sind nicht wegen ihrer Serifenlosigkeit Schriften ihrer Zeit. So wie die neuen Renaissance-Antiqua Schriften unserer Zeit sind, auch wenn sie als »Renaissance«-Antiqua klassifiziert werden.

 

Ebenso entsteht bei der bloßen Vereinfachung der gebrochenen Schriften keine Schaftstiefelgrotesk. Dichter an der Antiqua war schon die Unger-Fraktur, vereinfacht ist auch die Gilgengart. Und auch in der Nazizeit entstanden schlichtere gebrochene Schriften, ohne Schaftstiefel anzuziehen. Es gibt jede Menge vereinfachter gebrochener Schriften, die keine Schaftstiefelgrotesken sind. Wenn Ralf in der Gotenburg eine kalligrafisch fein gemachte Schrift sieht, haben wir unterschiedliche Ansichten über kalligrafische Feinheit.

 

Vereinfachte Schriften, Serifenlose, brauchen, um ein schönes typografisches Bild zu geben, mehr Entwurfsaufwand als Serifenschriften. Meistens werden sie zu ziemlich unschönen Gebilden verwurstet, weil sie aus Unwissenheit als »modern« gelten und man sich damit begnügt, ohne daß der Entwurf diesem Anspruch folgt. Bayers Universalschrift ist eine reine Dekorationstype, man kann sie nur für Überschriften einsetzen, und heute im Grunde auch nur noch, um die klassische Moderne zu zitieren. Ich bin kein großer Freund der Serifenlosen. Sie machen immer zusätzliche Arbeit, damit sie nicht fad aussehen.

 

Schriftkritik scheint hier aber per se kaum eine annehmbare Kategorie zu sein. Oder gibt es denn überhaupt gebrochene Schriften, die von den der Schaftstiefelgrotesk mit Sympathie gegenüberstehenden Menschen als mißraten und häßlich angesehen werden? Was bedeutet Schönheit, wenn Häßlichkeit nicht erkannt werden will? Geschmacklosigkeit, Stillosigkeit, Ungekonntheit und Häßlichkeit gibt es nicht nur in der Architektur, bei Autos, Möbeln und Kleidern, sondern auch bei Schriften.

Geschrieben

Und schon sind wir wieder bei Willbergs später Einsicht bzw. Frage. Gilt dies nicht alles ebenso (oder teils sogar noch mehr) für die vorausgegangenen Experimente in der Antiqua? Bayers Universalschrift wird in jedem Buch gezeigt, dass sich mit der jüngeren Schriftentwicklung beschäftigt. Aber war das Ergebnis nicht auch voller fauler Kompromisse und funktionierte daher eigentlich gar nicht? Keine Gießerei machte ich auch nur die Mühe, so etwas als Satzschrift herauszubringen, weil diese »erzwungenen« Formen als Satzschrift völlig untauglich sind. 

 

 

 

 

Und SSGen wurden urplötzlich in einer kurzen Zeitspanne in Serie produziert.

  • Gefällt 1
Geschrieben

Geschmacklosigkeit, Stillosigkeit, Ungekonntheit und Häßlichkeit gibt es nicht nur in der Architektur, bei Autos, Möbeln und Kleidern, sondern auch bei Schriften.

 

Wer hätte dem hier widersprochen?

 

Schriftkritik scheint hier aber per se kaum eine annehmbare Kategorie zu sein.

 

Vielleicht schenkst Du Deine Aufmerksamkeit nur sehr selektiv und nicht allen Threads dieses Forums? Sonst wäre eine solche Aussage kaum möglich. 

 

Oder gibt es denn überhaupt gebrochene Schriften, die von den der Schaftstiefelgrotesk mit Sympathie gegenüberstehenden Menschen als mißraten und häßlich angesehen werden? Was bedeutet Schönheit, wenn Häßlichkeit nicht erkannt werden will?

 

Mit diesen Unterstellungen wirst Du kaum zu einer sachorientierten Diskussion beitragen. Obwohl Du Deine Auffassungen hier in der Regel so bestimmt und detailliert vorträgst und eine Menge Sachkenntnis und Erfahrung in der Anwendung von Schrift für Dich in Anspruch nehmen kannst – und für Dein Expertenwissen sehr geschätzt wirst – sind die von Dir implizierten Unfähigkeiten der Mitdiskutanten kein sehr sympathisches Stilmittel. Du wirfst Ralf (wenn ich das richtig in Erinnerung habe) sinngemäß vor, dass er nur die Argumente gelten lässt, die in sein Argumentationsraster passen und alles andere zur persönlichen Meinung degradiert. Aber tust Du nicht genau das? Auffassungen zur Gestaltung der Schaftstiefelgrotesken, die nicht Deiner Ansicht entsprechen, lassen Dich sofort und wortgewaltig daran zweifeln, dass die Inhaber dieser Auffassungen zu Schriftkritik und der Unterscheidung von schön und hässlich fähig sind? Das erscheint mir, verzeih, verblüffend unsouverän. 

  • Gefällt 2
Geschrieben

In Schriften wie Gotenburg oder Wallau kann ich nichts sehen, was mich an eine SSG, wie z. B. die Tannenberg erinnert. Trotzdem wirft man diese Schriften in einen Topf mit den SSG-Schriften. 

 

Auch wenn dies manche Quellen so bringen, zeugt dies eher von Unwissenheit über den Enstehungsprozess der Schrift und welche Intentionen des Schriftgestalters dahintersteckten.

 

Die Jahreszahl alleine macht es nicht aus, bedenkt man doch, dass der Enstehungsprozess einer Schrift vom Entwurf bis zum Guss mehrere Jahre benötigte.

 

In dem von Ralf gez. Beispiel sehe ich eine ruhige, unaufdringliche Gotische.

 

Auch die Wallau ist für mich eher eine sakrale, würdevolle Schrift, die ganz und gar nichts Aggresives vermittelt.

 

Ganz anders bei der Tannenberg u. ä., da sehe ich die Schaftstiefeln.

 

Dies mag nun eine persönliche, subjektive Sichtweise sein.

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