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Unschöne Leerzeilen am Ende der Seite (verursacht durch Hurenkind/Schusterjungen Regeln)

Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Hallo zusammen,

 

nach langem Kopfzerbrechen denke ich, dass es besser ist, die erfahrenen Profis zu fragen ... 

Ich setze gerade ein Buch und habe festgestellt, dass durch Vermeidung der berühmten Hurenkinder/Schusterjungen oft eine Leerzeile am Ende der Seite auftaucht, weil der ganze Absatz auf die nächste Seite verschoben wird. Meine Frage ist, ob man es so lassen kann oder sieht es zu amateurhaft aus, vor allem wenn die Leerzeile nur auf einer der aufgeklappten Seiten sichtbar ist. Ich bin kein Setzer, aber ich möchte trotzdem das bestmögliche Ergebnis erzielen. 

Soll ich das Spacing (Laufweite?) der vorhergehenden Absätze vergrößern, um solche Leerzeilen zumindest mit ein paar Wörtern zu füllen? Oder alternativ geringfügig die breite des Satzspiegels verringern, damit der Text etwas tiefer rutscht (eventuell dann  für beide Seiten, damit es nicht auffällt). Vielleicht gibt es auch andere Lösungen für das Problem? 

 

Ich arbeite mit dem Programm PagePlus von der Firma Serif, falls es irgendeine Bedeutung hat.

 

Danke für eure Hilfe

fasimba

Geschrieben

Ich vermeide beide und lass eben eine Leerzeile am Seitenende, wenn es wirklich nicht anders geht. Sonst ist Handarbeit angesagt, dann wird oft die ganze Seite ausgetrieben, so dass sich eine Mehrzeile ergibt, der Text insgesamt aber optisch noch passt. Ist für mich immer eine Einzelfallentscheidung und hängt auch immer vom Kontext ab – Seiten mit Bildern etwa lassen sich leichter behandeln als reine Textseiten.

Geschrieben

Habe schon überlegt, die Seitenzahlen nicht unten, sondern oben anzuzeigen.  Dann würde eine Leerzeile unten eventuell weniger auffallen. Allerdings empfinde ich die Seitenzahlen oben eher nicht als Standard (nur meine persönliche Meinung, vielleicht irre ich mich).

Geschrieben

Wenn du eine Beispiel-Doppelseite zeigst, könnten wir uns ein Bild davon machen …

Geschrieben

Bei amerikanischen Wissenschaftsverlagen (z.B. bei Harvard University Press) gehört es (zumindest in einigen Reihen) zum Standardvorgehen, "widows" und "orphans" durch Weglassen oder Hinzufügen einer Zeile am Seitenende zu vermeiden. Absätze auszutreiben o.ä. ist selten das Mittel der Wahl. In Druckfahnen als PDF gibt es (das hatte ich vorher noch bei keinem Verlag gesehen) sogar eine Zeilenmarkierung –1 / 0 / 1 am Rand, so dass man leicht die Satzentscheidung nachvollziehen kann. Die jeweilige Entscheidung muss natürlich auf der Doppelseite einheitlich sein: wenn also eine Zeile weggelassen wird, dann auf linker und rechter Seite gleichermaßen.

  • Gefällt 1
Geschrieben
vor 14 Minuten schrieb Liuscorne:

... Die jeweilige Entscheidung muss natürlich auf der Doppelseite einheitlich sein: wenn also eine Zeile weggelassen wird, dann auf linker und rechter Seite gleichermaßen.

Könnte auch eine Lösungsvariante sein, zumindest würden die beiden Seiten symmetrisch aussehen. Man muss natürlich an diese Zusatz-Leerzeilen denken, wenn sich der Text durch eine andere Änderung wieder verschoben wird. Sonst entstehen plötzliche Szenenwechsel, wo keine sind. Vielleicht könnte ich solchen Zeilen eine separate Absatz-Vorlage zuweisen, damit ich sie schneller finden kann, oder etwas in der Art.

Geschrieben

Ich mache es bei Belletristik exakt wie bertel bzw. so wie fasimba im Eingangspost vorgeschlagen hat, obwohl Schusterjungen wohl in praktisch allen Belletristik-Verlagstiteln zu finden sind.

 

Bei Fachliteratur müssen die Spalten nicht unbedingt auf gleicher Höhe enden, da mache ich mir den Stress nicht. Da setze ich auch selten registerhaltig.

Geschrieben

Ein Update: 

Nach vielen Stunden Arbeit habe ich bis auf einige Ausnahmen die Buchseiten-Paare auf die gleiche Höhe gebracht. Aber es waren sehr viele Eingriffe in die Laufweite notwendig, da hatte ich manchmal das Gefühl, den Bogen zu überspannen.

 

Jetzt habe ich die ursprüngliche Datei noch unter einem anderen Namen gespeichert und probeweise die Absatzkontrolle abgeschaltet. Und siehe da, es muss viel weniger gemacht werden, wenn man die Schusterjungen stehen lässt und nur die Hurenkinder ausmerzt. Wie Dieter Stockert oben kommentiert hat, finden sich in der Mehrheit der Verlagstitel etliche Schusterjungen (habe auch einige Titel geprüft und festgestellt, das sie mich nie gestört haben).  

Ich denke ich begnadige die Schusterjungen.

  • Gefällt 2
Geschrieben

Ich meine mich dunkel zu entsinnen daß Hans-Peter Willberg irgendwo einmal gesagt hat daß Schusterjungen den Lesefluß verbessern können. Die erste Zeile des nächsten Absatzes noch auf der Seite zu haben lädt zum Weiterlesen und Umblättern ein sofern man die Inhalte denn spannend findet. Aus meiner persönlichen Leseerfahrung würde ich dem sofort zustimmen. Schusterjungen sind für das Lesen überhaupt kein Problem. Im Gegensatz hierzu habe ich öfters beobachtet daß Hurenkinder beim lesen nicht nur einen unschönen Stolperstein darstellen sondern auch den Sinn entstellen können. Aber das mag nur meine persönliche Wahrnehmung sein.

  • Gefällt 3
Geschrieben

»Schusterjungen stören den Lesefluß im allgemeinen nicht; im Gegenteil, sie führen weiter, laden zum Umblättern und Weiterlesen ein. Sie brauchen nur bei Büchern mit besonderem ästhetischem Anspruch entfernt zu werden.« (Hans Peter Willberg / Friedrich Forssmann: Lesetypographie, S. 184)

  • Gefällt 2
Geschrieben

Danke, Dieter, für die Quelle! Ich hatte irgendwie an Typolemik gedacht, bin dann dort aber logischerweise nicht fündig geworden, weil es das falsche Buch war!

Geschrieben

»›Hurenkinder‹ sollen also nicht vorkommen.
Manche verwerfen aber auch Anfangszeilen am Fuße einer Seite (›Schusterjungen‹, ›Waisenkinder‹). Mir scheint, daß das nicht mehr als ein Wunsch sein darf. Man soll nicht zuviel verlangen. Nur solange man noch austreiben durfte, fast wie man wollte, das heißt, bevor der enge Satz zur Richtschnur wurde, waren solche Wünsche auch erfüllbar. Anfangszeilen am Fuße einer Seite sind also wohl unerwünscht, aber zulässig. Was an ihnen stört, ist der Ausgang über ihnen, der helle Raum über der einzelnen letzten Zeile. Manchen könnte der Einzug stören, wenn die Seitenzahl unten steht. Ich ziehe diese, falls sie nicht zentriert ist, daher stets mit ebensoviel Punkten ein wie die Absätze des Textes.«
Jan Tschichold, 1975

»Daß eine Satzseite einmal um eine Zeile verkürzt wird, gilt als schwerer Kunstfehler.«
Paul Renner, 1948

  • sehr interessant! 1
Geschrieben

Der schwere Kunstfehler bezieht sich aber auf Belletristik, richtig? Bei einem Fachbuch oder Jahresbericht mit Marginalien, Einschüben und was dem Gestalter sonst noch so einfällt, doch eher nicht.

Geschrieben

Ja, freilich. Renner schränkt das dann noch ein, im Dramensatz etwa ist es kaum möglich, Schusterjungen zu vermeiden.

Wenn Dialoge mit kurzen Zeilen gesetzt werden und ein Absatz vor einem Dialog mit einer halben Ausgangszeile oben landet, wird auch ein Hurenkind ggf. stehenbleiben. Auch Ausgangszeilen, die annähernd die Satzbreite füllen, müssen nicht in jedem Fall beseitigt werden. Es kommt auf den Einzelfall an. Hier kennen wir nicht einmal die Textsorte, deshalb bleiben die Hinweise allgemeiner Natur. Wir wissen nicht, ob dieses Detailproblem im Umbruch und Satz überhaupt entscheidend ist, weil wir keine Ansicht davon haben.

Geschrieben

Leider habe ich keine konkrete Quelle zur Hand, aber es gibt wohl den Zusammenhang, dass Textpassagen um unteren Satzspiegelrand von Lesern nicht mehr mit voller Aufmerksamkeit gelesen werden, da sie sich bereits auf den weiteren Text am Anfang der nächsten Seite einstellen. 

(Zweifelhafte) Anwendung dieses Phänomen findet sich dann gerne in Verträgen und AGB: dort werden ungünstige (aus Sicht des Adressaten) Regelungen gerne nahe dem unteren ende des Satzspiegels platziert.

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