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Bleisatz unterschneiden

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Geschrieben

Mir fehlten bei den vorangegegangen Auflagen Zeit und Mut, diese seltene und empfindliche Schrift mit einer Feile anzufassen. Aber nun habe ich es gewagt. Vielleicht auch, weil ich beim digitalen Satz oft eingreife und dadurch empfindlicher geworden bin. 3238.jpg
Hier steht die Form auf der Schließplatte. Wenn man als Setzer und Drucker allein in der Werkstatt arbeitet, kann man sich den Arbeitsplatz aussuchen. Früher hätte der Setzer die Arbeit im Winkelhaken gemacht, weil der Drucker seinen Platz selbst brauchte.
3239.jpg

Das Unterschneiden ist gefährlich für das Schriftbild. Eine falsche Bewegung, und der Buchstabe ist hin. Bei einer seltenen Schrift wie der Wiener Grotesk, Erstguß 1912, wäre das bedauerlich. Das Feilen dauert seine Zeit. Bis die Form paßt, vergeht ein Stündchen. Und wenn man den Buchstaben am Ende doch kaputt macht, werden zwei Stunden daraus. Ich war aber sehr vorsichtig und hatte Glück dazu.
3240.jpg

Die beiden angefeilten Typen in der Druckform. Für Bleisatzkritiker: Das Blindmaterial links und rechts besteht aus Doppelcicero-Quadraten, weil die schneller greifbar waren als der Doppelmittel-Ausschluß. Hält auf kurzen Abschnitten genauso gut:

3241.jpg

Schließlich die Vorher-Nachher-Ansicht:

3242.jpg

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  • sehr interessant! 2
Geschrieben

Danke, dass du uns hier das Unterschneiden auch einmal im wahrsten Sinne des Wortes demonstriert hast. Und ja, diese Arbeit hat sich gelohnt. Ich habe mir diese Seite in meine Dauer-Lesezeichen gepackt, wenn mich mal wieder jemand fragt, warum das "Unterschneiden" heißt.

  • Gefällt 3
Geschrieben
vor 9 Minuten schrieb catfonts:

Danke, dass du uns hier das Unterschneiden auch einmal im wahrsten Sinne des Wortes demonstriert hast.

Gern geschehen. Der wahre Wortsinn ging mir beim Feilen durch den Sinn: entweder wird das Wort »schneiden« in einem vielleicht älteren Wortsinn benutzt, daß man überhaupt damit das Entfernen bezeichnete, oder es ist ein Begriff aus der alten Schriftgießerei, wo Überhang vielleicht mit einem speziellen Werkzeug hergestellt wurde, oder der Setzer hatte früher ein anderes Werkzeug. Mit dem Messer kann man an den Typen auch nur schaben, sonst, also wenn man wirklich schneidet, Druck anwendet mit einer Klinge, besteht die Gefahr, daß man sie im ganzen verformt. Ich hab auch schon an Brotschriftgraden unterschnitten, da vielleicht auch mit einem Messer. Ich kenne es nicht aus meiner Ausbildung und Praxis als angestellter Setzer. Wir haben so etwas nicht gemacht, es war immer schnell und billig gewünscht. Vielleicht ist es aber auch nur eine Versinnbildlichung. Weil Unterschneiden, also das Schneiden unter das Schriftbild mit dem Ergebnis, daß etwas fehlt, besser klingt als Unterfeilen oder Unterschleifen. Ich wüßte es gern genauer, falls jemand da mal was gelesen hat ...

  • Gefällt 1
Geschrieben

Wenn es die Größe zulässt, ist aber rechtwinkliges Feilen vorzuziehen. Der große Vorteil ist dann, dass beide Buchstaben einen hinreichend großen Teil ihrer rechtwinkligen Seiten behalten und so auch weiterhin leicht mit anderen Buchstaben kombiniert werden können. 

Hier ein sehr grob geschnittenes Beispiel, das ich gerade als Foto zur Hand hatte. Nicht schön geschnitten, aber links oben bleibt hinreichend viel Seitenkante stehen. Mit dem obigen V wäre das theoretisch auch möglich gewesen. 

ENm_CbMVUAA-qc7.jpeg

 

  • Gefällt 3
Geschrieben

Theoretisch, ja. Praktisch hätte es sehr viel länger gedauert, größer ist die Gefahr des Unglücks (einmal abrutschen macht stundenlange Arbeit wertlos), und ich hätte mir andere Werkzeuge beschaffen müssen. Mit einer groben Eisenfeile lassen sich solche Stufen nicht in kleine Lettern feilen. Da kleine e konnte ich ja kaum in den Fingern halten. Das Satztechniklexikon von Herrn Niel erwähnt Unterschneidemaschinen, die gefräst und geschliffen haben. Ich hab so etwas nie gesehen. Motorsägen hatten wir nur für Maschinensatz, fürs Unterschneiden und Fräsen hatten die keine Vorrichtung, soweit ich mir entsinne. Das waren ziemlich grobe Geräte.

Die Letter auf dem Foto sieht aus wie zurechtgemacht für den Gebrauch als Initial, nicht um dort Kleinbuchstaben einzusetzen, denn das P wird an sich nicht unterschnitten. Das Problem hat man, wenn ich jetzt richtig denke, an sich nur mit V und W und bei Kursiven. Läßt sich das noch nachvollziehen? Sind im Schriftkasten auch abgeschnittene Kleinbuchstaben?

  • sehr interessant! 1
Geschrieben
vor 55 Minuten schrieb Martin Z. Schröder:

Das waren ziemlich grobe Geräte.

Da würde sich die Investition in einen Dremel oder Nachbau lohnen.

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Geschrieben
vor 16 Minuten schrieb Phoibos:

Da würde sich die Investition in einen Dremel oder Nachbau lohnen.

Sehr gute Idee, danke! Ich hab neulich einen Acrylstich mit einem Dremel flacher gemacht. Das war zwar eine Schweinerei (Späneflug), aber es ging sehr fix und genau. Überlege ich mir beim nächsten Störbuchstaben. So etwas kommt nur selten vor.

vor 10 Minuten schrieb Phoibos:

Wobei mir noch einfällt, arbeitet Ihr mit Absaugvorrichtungen?

Kenne ich nur vom Maschinensatz, um den Dunst vom Bleitopf abzuziehen. Beim Feilen von Hand atme ich nicht so dicht vor der Feile, sauge aber hinterher gründlich. Beim Dremeln müßte man das doch noch mal bedenken. Da kann ich aus meinem Industriestaubsauger was basteln. Danke für die Ideen!

  • Gefällt 1
Geschrieben

Wenn man eine freie Hand hat kann man den Staubsauger ran halten. Macht aber nur Sinn, wenn der auch feine Partikel zurückhalten kann. Ansonsten den Schlauch im Schraubstock oder mit Schraubzwingen fixieren.

  • Gefällt 1
Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Martin Z. Schröder:

3242.jpg

Schön hätte ich gefunden, wenn die Oberlängen von d und k direkt bündig mit m und m in der oberen Zeile wären. Davon abgesehen hat sich der Aufwand des Unterschneidens auf jeden Fall gelohnt ...

Geschrieben
vor 22 Minuten schrieb Microboy:

Schön hätte ich gefunden, wenn die Oberlängen von d und k direkt bündig mit m und m in der oberen Zeile wären.

Ne, nicht wenn’s nicht wirklich mittig ist … aber etwas mehr Luft hätte ich den beiden langen Oberlängen zueinander gegönnt – nicht viel …

 

vor 24 Minuten schrieb Microboy:

Davon abgesehen hat sich der Aufwand des Unterschneidens auf jeden Fall gelohnt ..

Auf jeden Fall :ilovetype::rockon:

Geschrieben

Kommt das Wort „unterschneiden“ vielleicht ursprünglich aus einem anderen Bereich und wurde für den Bleisatz daraus entliehen? Es gibt ja auch das Wort „überschneiden“. Gehören die beiden vielleicht zusammen? Nur so eine Idee …:-?

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb 109:

Macht aber nur Sinn, wenn der auch feine Partikel zurückhalten kann.

Reicht dafür nicht der übliche HEPA-Filter?

Geschrieben

Und von Schneiden spricht man ja letztlich bei allen spanabhebenden Fertigungsverfahren, schließlich steht ja auch auf einer Trennscheibe etwas von "maximaler Schnittgeschwindigkeit".

Zudem ist es für das spätere Ergebnis ja völlig unerheblich, mit welcher Technik da etwas von der Letter weggeschnitten wurde.

 

Ich könnte mir gut vorstellen, dass bei entsprechend großen Lettern der Kegel unter der Glyphe so weit gerade ab gefräst wird, dass aus der rechten Seite des V dann derart ein Überhang wird, der sich dann präzise auf dem Fleisch des folgenden unmodifizierten Buchstabens abstützen kann, sodass solch eine unterschnittene V-Letter dann problemlos füe Fa, Fe, Fo und Fu tauglich ist.

Geschrieben
vor 8 Stunden schrieb Schnitzel:

… aber etwas mehr Luft hätte ich den beiden langen Oberlängen zueinander gegönnt – nicht viel …

hat mich auch gewundert daß bei so viel Aufwand nicht auch in ein klein bischen Blei da investiert wurde

Geschrieben
vor 34 Minuten schrieb Martin Z. Schröder:

Es gibt in der Typografie zum Glück keine objektive Richtigkeit in diesen Fragen. Alle Entscheidungen dieser Art sind wohlüberlegt – und hätten auch anders getroffen werden können.

Ja, das hatte ich dabei im Sinn, aber leider nicht dazu geschrieben … sollte also auch keine objektive Kritik sein 😉

Geschrieben
vor 12 Stunden schrieb catfonts:

(...) dass aus der rechten Seite des V dann derart ein Überhang wird, der sich dann präzise auf dem Fleisch des folgenden unmodifizierten Buchstabens abstützen kann, sodass solch eine unterschnittene V-Letter dann problemlos füe Fa, Fe, Fo und Fu tauglich ist.

Wird die nächste Stufe der Rechtschreibreformierung gezündet? Ferdammt! Aber dann muß V nur noch für Fremdsprachensatz unterschnitten werden.

  • lacht 3
Geschrieben
vor 7 Stunden schrieb Martin Z. Schröder:

Wird die nächste Stufe der Rechtschreibreformierung gezündet?

Was soll man machen, wenn alle V's beim Unterschneiden verunglückt sind ...

Wenn auch die F's misslingen, wird es pherdammt altmodisch ...

  • Gefällt 2
  • lacht 3
Geschrieben

Entschuldigung, nur damit hier keine Mißverständnisse entstehen: Unterschnitten, um kleine, also auf Mittellänge stehende Kleinbuchstaben rechts besser anzuschließen, werden allenfalls T, V, W und Y. Es gibt einige Bleischriften, da haben diese Buchstaben Überhänge, da muß man dann bei den Minuskeln mit Oberlänge aufpassen, sonst macht es beim Ausschließen im Winkelhaken (beim Zusammenpressen der Zeile) knacks, und der Überhang bricht weg. Das von Ralf oben beispielhaft gezeigte P wurde nicht für einen gewöhnlichen Textsatz unterschnitten. Vielleicht hat man das als Initial benutzt oder auch einen Punkt, das Satzzeichen für eine Abkürzung, enger setzen wollen. Aber gewöhnliche Minuskeln auf Mittellänge lassen sich in den wenigsten Schriften unter ein P oder auch F schieben. Also wenn wir von Antiqua sprechen. Bei Schreibschriften sieht es freilich anders aus, da können die Überhänge und die Bearbeitungsmöglichkeiten ganz bizarr sein. Das sind aber Ausnahmen. Bei F wird nüscht »gefräst«.

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