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Schriftdehnung im glatten Satz

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Geschrieben

Hallo zusammen,

 

der Entwickler von pdfTeX hat in seiner Dissertation nicht allein überhängende Satzzeichen beschrieben und für dieses Satzprogramm umgesetzt, sondern empfiehlt auch (mit Einschränkungen) die Dehnung respektive Stauchung der Schrift (um maximal 2%), um den Text einer Zeile aus- oder einzubringen. Da ich keinen Überblick habe, was heutige professionelle Satzprogramme für Möglichkeiten bieten und was üblich ist, möchte ich von Euch gerne wissen, ob eine solche Dehnung bzw. Stauchung mittlerweile als eine zulässige Technik angesehen oder verpönt ist. Und falls es ein zulässiges Mittel ist, sind 2% dann noch die anerkannten Grenzen dafür?

Geschrieben

Gedehnt hab ich eine Schrift im Satz noch nie, gestaucht immer wieder mal. Wir machen viel Verpackungen und da muss man Textmengen unterbringen, gesetzliche Mindestschriftgrößen einhalten und so weiter. Eine Stauchung um 2 % sieht niemand, wenn er nicht mit der Nase darauf gestoßen wird, und ist durchaus eine zulässige Technik.

 

Eine der beiden Texte unten ist in InDesign mit 98 % Breite gesetzt, der andere mit –9 spationiert. Ich könnte dir ohne den direkten Vergleich auf Anhieb nicht sagen, welcher welcher ist.

 

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Geschrieben

Ein Kunde von uns nutzt  die PT Serif Pro für längere Texte in Büchern. Da fällt es mir im Blocksatz mit teilweise schon auf wenn zwei aufeinander folgende Zeilen sich sehr von einander unterscheiden. Gefühlt liegt das sehr an der Schrift und einigen schmalen Details wie beim n, p oder a … Generell wären 2 Prozent Skalierung (proportional) für mich aber in den meisten Fällen okay.

 

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Geschrieben

Vielen Dank für die Antworten. 🙂

 

Ich werde das so lösen, daß Stauchungen oder Dehnungen über zwei Prozent als problematisch markiert werden. Sowieso wird zunächst der Ausschluß bis zu den eingestellten Grenzen verändert, bevor auf die Dehnung/Stauchung zurückgegriffen wird. Aber so ganz geheuer ist mir dieses Mittel noch nicht. Deswegen werde ich auf jeden Fall eine Möglichkeit einbauen, darauf zu verzichten. In diesem Falle wird dann wieder nur der Ausschluß über die eingestellten Grenzen hinaus gedehnt/gestaucht.

Geschrieben

Den Ausschluss stauchen geht streng genommen nicht, er bestünde dann aus Antimaterie ;-) .

Viel wichtiger als die rein zahlenmäßige Formatierung ist doch der optische Eindruck, der erzielt wird. Je nach Schriftart, Buchstabenformen und voreingestelltem Kerning kann ein auf 98 % gestauchter Buchstabe, Wort, Absatz besser aussehen als eine negative Spationierung, aber das muss eben im Einzelfall untersucht werden. Eine grundsätzliche Aussage, dass dieses oder jenes typografische Mittel besser oder schlechter wäre, gibt es nicht – das Ergebnis muss passen.

Geschrieben

Da stimme ich Dir durchaus zu. Deswegen versuche ich auch so viel als möglich manuell und nicht automatisch ablaufen zu lassen. An der Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, daß ich mit einem eigenen Satzsystem arbeite, bei dem ich nun eine neue Version programmiere, in der ich eben auch die Dehnung der Schrift beim glatten Satz als eine Möglichkeit bieten will, Zeilen ein- oder auszubringen.

Da es sich um virtuellen Ausschluß handelt, darf der auch gerne als virtueller Antimaterie bestehen. 😉 Bisher hat der Umgang damit jedenfalls hervorragend funktioniert, auch über längere Strecken. So habe ich mit meiner Software (allerdings schon der vorletzten Version) Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit umgesetzt, was immerhin Material im Umfang von beinahe Spielfilmlänge ergibt (ich arbeite mit kinetischer Typographie).

Bisher habe ich versucht, mich möglichst nicht nur von dem unmittelbaren ästhetischen Eindruck leiten zu lassen, der fraglos letztlich entscheidend sein muß, sondern von der seit Jahrhunderten geübten Typographischen Praxis zu profitieren. Daß Satzregeln immer nur Leitplanken sein können, über die man sich im Einzelfall auch mal hinwegsetzen muß, ist mit durchaus klar. 🙂

Geschrieben

Die "seit Jahrhunderten geübte typographische Praxis" gibt es nicht. Je nach Entwicklungsstand war und ist die Praxis immer unterschiedlich. Dehnungen und Stauchungen beispielsweise gingen im Bleisatz noch nie, wie auch, hätte man doch angepasste Lettern benötigt.

Geschrieben

An der Stelle muß ich Dir aber dann doch widersprechen: Typographische Praxis gibt es mindestens, solange es den Satz mit beweglichen Lettern gibt, was allerdings nicht heißt, daß sie immer einheitlich war.

 

Aber was soll das, hier Spitzfindigkeiten auszutauschen?

 

Ich bin dann mal weg und bedanke mich noch mal für die Auskünfte. 🙂

Geschrieben
vor 18 Minuten schrieb prolysarik:

Aber was soll das, hier Spitzfindigkeiten auszutauschen?

Das ist keine Spitzfindigkeit – mir hat sich noch nicht erschlossen, was du mit "seit Jahrhunderten geübte typographische Praxis" meinst. In meinen Augen gibt es diese nicht.

Geschrieben

Ich versuche es mal ganz ironiefrei zu erklären (auch wenn es schwer fällt):

 

Praxis: von altgriechisch für 'Tat', 'Handlung', 'Verrichtung'.

Gutenberg erfand im 15. Jahrhundert den Buchdruck mit beweglichen Lettern (und damit den Satz)

 

Da wir uns im 21. Jahrhundert befinden, sollte es nicht allzu schwer sein, sich darauf zu einigen, daß seit einigen Jahrhunderten Menschen sich mit Typographie beschäftigen und verschiedene, mit dem Satz in Zusammenhang stehende Tätigkeiten verrichten. Dabei haben sie Erfahrungen gemacht. Diese Erfahrungen flossen in ihre Arbeit ein und halfen dieser, sich zu entwickeln. Genau auf diesen Erfahrungsschatz habe ich mich bezogen, als ich von der "seit Jahrhunderten geübten typografischen Praxis" sprach. Weder gehe ich davon aus, daß Setzer noch Anfang oder Mitte des 20. Jahrhunderts ihre Tätigkeit in genau derselben Art und Weise ausgeübt haben, wie dies zu Zeiten Gutenbergs der Fall war. Danach gab es weitere Erfahrungen. Einige wurden davon sogar schriftlich festgehalten und sind auf uns gekommen. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um einen Schatz. Und wenn es geht, schaue ich mir diesen Schatz gerne an und betrachte die Erfahrungen aus der jahrhundertelangen Praxis mit den Augen meiner heutigen Erfahrung (muß aber jeder selbst entscheiden, wie er das handhabt).

 

Um es mal mit einer Analogie zu beschreiben: Ein Tischler geht in die Lehre, macht seine Gesellenprüfung und später einen Meister. Insgesamt arbeitet er über dreißig Jahre in diesem Beruf, in dem er zahlreiche Erfahrungen macht. Ich gehe nicht davon aus, daß irgendein Tischler kurz vor der Rente noch in derselben Art und Weise arbeitet wie er das mal in der Lehre gelernt hat (zumindest wünsche ich ihm das). Kann man von diesem Tischler sagen, er könne schließlich auf ein Arbeitsleben voll geübter Praxis zurückblicken? Ich denke schon!

 

Übrigens hasse ich es, wenn man mich für doofer hält, als ich bin (und ich bin zugegebernermaßen schon ziemlich doof [weshalb ich hier auch weiter schreibe...]).

  • Gefällt 1
Geschrieben

Die "seit Jahrhunderten geübte typographische Praxis" hat aber immer wieder zur meisterhaften Erkenntnis geführt: "Es kommt  darauf an."

 

Wenn Platzmangel herrscht und der Inhalt starr ist, gilt es, den Inhalt im Platz einfach unterzubringen. Da sind gequetschte Buchstaben plötzlich voll okay.

Wenn gar kein Platzmangel herrscht, ein ebenmäßiges Ergebnis ein Kriterium ist, und man sich mit etwas Quetschen und Zerren nur Aufwand spart andere Lösungen zu finden, sind gequetschte Buchstaben eher gar nicht vertretbar.

Eine Schrift mit klassizistischem Aufbau hält ein Quetschen besser aus als eine humanistische Schrift – 4% können da kaum bemerkbar, oder viel zu viel für ein ästhetisches Ergebnis sein.

Einen ganzen Absatz zu quetschen wirkt anders als eine einzelne Zeile  (ich habe auch schon gewagt, in einem 100%-Absatz in der ich eine Zeile auf 98% nehmen musste, die Vor- und Nachzeile auf 99% zu stellen ... sah einfach weniger auffällig aus).

 

Es gibt da einfach keine Erkenntnis aus hunderten Jahren Praxis, die für alle verschiedenen Problemstellungen und Parameter die eine richtigste Antwort wäre – es kommt eben darauf an. Letztlich gilt es, innerhalb der jeweiligen "harten" Vorgaben die optisch beste (also unauffälligste) Lösung zu finden. Der 30-Jahre-Praxis-Tischlermeister hat auch kein Pauschalrezept für einen Schrank der an eine schiefe Wand ran soll – aber er weiß was er alles probieren könnte und welche Kombination von Maßnahmen im Endeffekt am wenigsten schief aussieht.

  • Gefällt 3
Geschrieben

Ok.

 

Ich habe mir extra noch mal meine Beiträge in diesem Thread durchgelesen und nichts entdecken können, was dazu in Widerspruch stünde. 🙂

Geschrieben

Um das Thema einerseits für mich abzuschließen, andererseits zu konkretisieren, anbei das Ergebnis der Umsetzung der Lösung, die ich weiter oben skizziert habe. Dazu ist anzumerken, daß keine Zeile gedehnt wurde, in den Zeilen 2, 3, 5 und 10 wurde die Schrift gestaucht, dabei in Zeile 10 um 1,8607 %, was das Maximum in dieser Probe darstellt. Bei der Schrift handelt es sich um die EB Garamond. Die Satzregeln, an die ich mich dabei gehalten habe, sind zwar einsehbar, sollen aber ausdrücklich nur für mich gelten und dürften insofern kaum auf Euer Interesse stoßen, weshalb ich sie auch hier nicht verlinke. Mit dem Ergebnis bin ich zufrieden und werde es dabei vorerst belassen, bis ich auf schiefe Wände stoße, an die der Schrank nicht mehr passen will.

 

 

correggio.jpg

Geschrieben

Die meisten der von dir genannten Zeilen sind mir gleich ins Auge gefallen, noch bevor ich den Beitrag darüber gelesen hatte. Aber nicht wegen eventuell veränderter Buchstabenformen, sondern weil sie sehr vollgepackt, also »schwärzer« als der Rest sind. Aber da hat wohl jeder seine eigenen Prioritäten …

  • Gefällt 1
Geschrieben

Ich finde die Wortabstände zu groß und die Zeichenabstände zu klein, das strengt sehr an beim Lesen.

Die Zeile 3 wäre mir wesentlich zu eng.

Geschrieben

Gerade den Hinweis auf Zeile 6 fand ich hilfreich. Ich habe mich auch gewundert, daß es zu keiner Streckung der Schrift gekommen ist. Zum Hintergrund: Gesetzt wurde mit einem Wortabstand von 1/4 Geviert. Der in der Schrift angegebene Wert für 'Space' dient als minimaler Wortabstand (entspricht 0,8 des 1/4 Geviert). Für den maximalen Wortabstand wurde einfach eine 1 zu dem minimalen Abstand hinzuaddiert. Eine Dehnung der Schrift kommt also erst in Betracht, wenn die Wortabstände größer werden als 1,8 mal 1/4 Geviert. Nun habe ich eingestellt, daß zum minimalen Abstand nicht 1 hinzuaddiert wird, sondern dieser wird nun verdoppelt. Damit kommt nun die Dehnung der Schrift ab einem Wortabstand von mehr als 1,6 mal 1/4 Geviert in Aktion. Und tatsächlich wurde nun die Schrift in eben jener Zeile 6 um 1,22114 % gedehnt. Danke für den Hinweis. 🙂

correggio2.jpg

Geschrieben

Ich sehe leider keinen Gewinn – die Wortabstände sind immer noch zu groß und die Buchstabenabstände zu klein, gerade in der Zeile 6.

Geschrieben

Für die Wortabstände zeichne natürlich ich verantwortlich, auch wenn Du das Verhältnis von Wort- zu Buchstabenabständen meinst, muß ich das auf meine Kappe nehmen. Aber an den Buchstabenabständen habe ich nichts geändert. Wenn Dich irritiert, daß das 'ch' recht dicht beieinander steht, und davon gibt es in Zeile 6 einige, so liegt das möglicherweise daran, daß es sich um Ligaturen handelt.

Geschrieben

Wäre nicht gerade das, mit den Ligaturen ein Weg, derart untergefüllte Zeilen besser auszugleichen, indem man diese auflöst? Hatte nicht schon Gutenberg für diesen Zweck ein ganzes Sortiment an Spezialglyphen im Setzkasten, wie bei Buchstaben, bei denen ein Ersatz nicht so auffällt, breitere und schmalere Versionen, wie auch ein großes Sortiment an Abkürzungszeichen?

 

http://www.obib.de/Schriften/AlteSchriften/Mittelalter/Gutenberg.html?frameset

  • sehr interessant! 1
Geschrieben
vor 22 Minuten schrieb catfonts:

indem man diese auflöst

Das war auch mein Gedanke. Zumal die Ligatur als solche nicht gestaltet oder erkennbar ist, sondern nur aus den beiden Buchstaben mit einem festen Abstand besteht.

Geschrieben

@catfonts: Das ist aber eine sehr schöne Seite, die ich noch nicht kannte. Auf jeden Fall danke für den Link.

 

Zu den Ligaturen: Ich mag es dann doch lieber einheitlich. Wenn ich die Ligaturen auflöse, dann überall. In zu kurzen Zeilen würde das helfen, in zu langen würde es das Problem hingegen vergrößern.

 

Auch auf die Gefahr, mich furchtbar zu disqualifizieren, aber in meinen Augen sind die Wortabstände nicht übergroß. Ein Viertel Geviert ist nun wirklich nicht zu viel. Im Typo-Lexikon heißt es: »Diese sollten aber oben genannte Werte niemals um mehr als die Hälfte unterschreiten und um nicht mehr als das Doppelte überschreiten«, wobei die oben genannten Werte »ein Drittel des Schriftgrads« oder die »Punze (Binnenraum) der Minuskel ›n‹« sind. Wie ich ja oben bereits geschrieben hatte, bewegen sich die Wortabstände zwischen 0,8 und 1,6 von 1/4 Geviert. Ich höre schon den Einwand, Regeln sind das eine, der ästhetische Eindruck das andere...

 

Ich weiß nicht, ob der Absatz ein besonders unglückliches Beispiel abgibt. Mit ihm fängt der dritte Teil eines Textes über Sokrates an. Die ersten beiden Teile habe ich bereits fertiggestellt (weshalb ich im dritten Teil auch behutsam mit Änderungen sein will), und zumindest mir fallen die Wortzwischenräume nicht unangenehm auf. Auch wenn ich das eher ungern mache, da ich es lieber habe, wenn sich Leute die Texte aus Interesse am Text zu Gemüte führen, verlinke ich als Beispiel den zweiten Teil.

Geschrieben

Bitte nicht böse sein, aber länger als ein paar Sekunden wird sich das keiner anschauen wollen. Bei der Art der gewählten Animation ist es in meinen Augen komplett egal, wie der Satz stattfindet und ob Ligaturen verwendet werden, weil die Animation völlig vom Inhalt ablenkt und ein Lesen des Textes verhindert.

 

Für einen kleinen Einleser zwischendrin mögen solche Gimmicks in Ordnung sein, aber einen kompletten Text so lesen zu müssen, ist für mich eine Zumutung.

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb prolysarik:

aber in meinen Augen sind die Wortabstände nicht übergroß

Für sich gesehen stimmt das, aber sitzt so eine Zeile zwischen gedrängten Zeilen, fallen eben beide Änderungen an den benachbarten Zeilen wesentlich deutlicher auf.

 

Vielleicht wäre ja ein Mix aus allen Möglichkeiten der beste Weg:  die Hälfte dessen, was da gestaucht oder gestreckt werden muss durch Änderung des Buchstabenabstands korrigieren, damit die Zeile nicht zu lückenhaft oder zu dunkel wird, und dann den verbleibenden Teil durch strecken oder stauchen der Glyphen selbst, damit die nicht sichtbar ihre Geometrie ändern müssen. Vielleicht zusätzlich, wird gestreckt wahlfreie Ligaturen, wie ch, ck dann auflösen.

  • Gefällt 1

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