hrrfrnd Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 Hallo zusammen, ich hatte letztens ein Gespräch über verschieden Formen der Schriftklassifikation und mit welchem man am besten arbeiten bzw. einteilen kann. Wir sind zu keinem Ergebnis gekommen, was uns voll überzeugt hat, sind aber auch nicht so die Experten auf dem Gebiet. Wir haben über folgende gesprochen: Schriftklassifikation nach dem Formprinzip, hier aus dem Wiki. Was ich da schwierig finde sind die 2 Gruppen, die man irgendwie zusammen puzzelt. Schriftklassifikation von Wolfgang Beinert, gefällt mir eigentlich sehr gut, weil es mehr auf die einzelnen Kategorien eingeht. DIN 16518 gefällt mir persönlich nicht so gut, allein schon, weil sich gefühlt die Hälfte der Gruppen um Antiqua-Varianten drehen und die Serifnlose in einer Gruppe abgespeist werden. Es gibt, glaube ich auch einen Nachfolger? Von den dreien gefällt mir die von Wolfgang Beinert am besten, aber da gibt es vielleicht noch weitere durchdachte, die ich nicht kenne? Welches Schriftklassifikations-Modell findet ihr am funktionalsten? Viele Grüße, Patrick
Ralf Herrmann Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 Ich finde, die Frage lässt sich so nicht beantworten. Kein Modell ist grundsätzlich am besten oder »funktionalsten«. Schriften zu klassifizieren hat bestimmte Ziele, die können aber von Aufgabe zu Aufgabe ganz unterschiedlich sein. Du müsstest also erst einmal diese Ziele für dich definieren. Ohne konkrete Ziele gibt es keinen sinnvollen Maßstab. Und natürlich muss man auch nicht nur ein System verwenden, so wie man sich für ein Android- oder iOS-Telefon entscheiden müsste. Es kann durchaus Sinn machen, verschiedene System parallel zu nutzen.
hrrfrnd Geschrieben September 25, 2020 Themen-Ersteller Geschrieben September 25, 2020 Ich glaube auch, dass es nicht die ultimative Klassifikation gibt, wobei es eigentlich auch verwunderlich ist, da die Wissenschaft für alle Klassifikationen gefunden hat. Daher sollte das bei Schriften auch möglich sein, irgendwie. Was ich suche, wäre ein Modell, nach dem man Schriften sachlich in eine "Schublade" stecken kann um dann besser über (die richtigen) Schriften (für ein Projekt) diskutieren kann. Ich habe noch nicht die großen Foundrys gecheckt, aber die müssten sowas ja auch machen, oder sind die nur grob und sagen "Antiqua" oder "Sans"? In der darauffolgenden Ebene sollte es schon etwas differenzierender werden – zwischen einer Helvetica und einer Frutiger liegen ja Welten, bzw. unzählige "Schubladen".
Phoibos Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 vor 12 Minuten schrieb hrrfrnd: zwischen einer Helvetica und einer Frutiger liegen ja Welten, bzw. unzählige "Schubladen". Die ich für Laien völlig unverständlich finde und deswegen für nicht zielführend in der Kommunikaiton erachte. Das ist ja eben die Aufgabe des Designers, diese Diskussion eben nicht mit dem Kunden zu führen, da er über die Expertise verfügt und ihn der Kunde deswegen ja angeheuert hat. Die objektivierbaren Klassifikationsmöglichkeiten sind ja da. Und es läuft auf eine Trias Serif/Sans/Sonstige heraus, die dann feiner geteilt werden kann. Spielt di objektivierbare, e formale Klassifizierung überhaupt eine Rolle für ein Projekt? Ist die emotionale, subjektive Wirkung nicht viel wichtiger?
hrrfrnd Geschrieben September 25, 2020 Themen-Ersteller Geschrieben September 25, 2020 vor 2 Minuten schrieb Phoibos: Die ich für Laien völlig unverständlich finde und deswegen für nicht zielführend in der Kommunikaiton erachte. Das ist ja eben die Aufgabe des Designers, diese Diskussion eben nicht mit dem Kunden zu führen, da er über die Expertise verfügt und ihn der Kunde deswegen ja angeheuert hat. Die objektivierbaren Klassifikationsmöglichkeiten sind ja da. Und es läuft auf eine Trias Serif/Sans/Sonstige heraus, die dann feiner geteilt werden kann. Spielt di objektivierbare, e formale Klassifizierung überhaupt eine Rolle für ein Projekt? Ist die emotionale, subjektive Wirkung nicht viel wichtiger? Ich finde Klassifizierung während eines Projektes wichtig. Nicht um mit dem Kunden zu reden, sondern sich mit Kollegen auszutauschen. Wenn man zum Beispiel zu einem Kollegen meint, dass in ein Layout eine geometrische Sans nicht so gut passt, eine humanistische Sans an der Stelle besser ins passen, weil dings und bums. Von daher fände ich es schon wichtig, dass es da ein halbwegs einheitliches Vokabular gibt um über die Arten von Schriften zu reden, anstatt nur zu sagen "die Schrift gefällt mir nicht".
Phoibos Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 Das einheitliche Vokabular ist doch da und in seiner allgemeinen Formenbeschreibung unstrittig? Wo siehst Du da große Abweichungen? Aber was für Projekte hast Du, dass das Layout eine Schriftwahl erzwingt? So aus reiner Neugierde, denn ich würde die Form immer dem Inhalt unterordnen.
hrrfrnd Geschrieben September 25, 2020 Themen-Ersteller Geschrieben September 25, 2020 vor 6 Minuten schrieb Phoibos: Das einheitliche Vokabular ist doch da und in seiner allgemeinen Formenbeschreibung unstrittig? Wo siehst Du da große Abweichungen? Aber was für Projekte hast Du, dass das Layout eine Schriftwahl erzwingt? So aus reiner Neugierde, denn ich würde die Form immer dem Inhalt unterordnen. Einheitliches Vokabular gibt es in Sachen Klassifikation nicht, das sieht man ja an den unterschiedlichen Modellen, die ich oben als Links eingefügt habe. Beim Beispiel Helvetica hätte die Schublade in jedem Modell einen anderen Namen. Ich arbeite viel in der Markenentwicklung und da werden Schrift und Layoutprinzip gleichzeitig entworfen/definiert. Da kommt es häufig vor, dass ein Layoutprinzip stärker wird als die Schrift und diese dafür getauscht werden muss.
Phoibos Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 vor 26 Minuten schrieb hrrfrnd: in jedem Modell einen anderen Namen So anders sind die Namen auch nicht. Ich sehe das eher wie den Unterschied zwischen horizontal und waagerecht bzw. senkrecht und vertikal, also im alltäglichen Gebrauch gleichbedeutend. vor 30 Minuten schrieb hrrfrnd: Helvetica Statische Grotesk oder VIa oder Ältere Grotesk widersprechen sich ja nicht. Und im Zweifelsfalle würde ich da immer die DIN verwenden.
hrrfrnd Geschrieben September 25, 2020 Themen-Ersteller Geschrieben September 25, 2020 Ich frage mal anders: Welches Klassifikationsmodell findet sich im alltäglichen Sprachgebrauch von Typografen am häufigsten wider?
Microboy Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 Die Klassifikation richtet sich nach den Eigenschaften der Schriften. Ab einem bestimmten Punkt sind diese dann aber nicht mehr »exakt« bzw. mit einheitlichem Vokabular beschreibbar. Eine humanistische Sans kann deutlich kühler, verspielter oder freundlicher wirken als eine andere … die Frage bleibt also, wie von Ralf eingangs geschrieben, mit welchem Ziel man klassifizieren will. 1
Microboy Geschrieben September 25, 2020 Geschrieben September 25, 2020 vor 2 Minuten schrieb hrrfrnd: Ich frage mal anders: Welches Klassifikationsmodell findet sich im alltäglichen Sprachgebrauch von Typografen am häufigsten wider? Sans, Serif, Script, Headline, Hipster Grotesk, … 1 1
Sebastian Nagel Geschrieben September 30, 2020 Geschrieben September 30, 2020 So ein festgeschriebenes System ist das nicht, aber für mich funktioniert die Eingruppierung in dieser Matrix recht gut: – Skelettform (offen, geschlossen, geometrisch) – Serifenform (keine, funktional, betont, nur-An-Abstriche) – Strichstärkenkontrast* (gut wahrnehmbar, nicht wahrnehmbar, gar nicht) * eventuell noch Winkel der Modulation, aber das ist schon recht speziell Syntax: Offene Skelettform, warnehmbare Strichstärken, keine Serifen Bodoni: Geschlossene Skelettform, wahrnehmbare Strichstärken, funktionale Serifen Glypha: Geschlossene Skelettform, nicht wahrnehmbare Strichstärken, betonte Serifen Garamond: Offene Skelettform, wahrnehmbare Strichstärken, funktionale Serifen Helvetica: Geschlossene Skelettform, nicht wahrnehmbare Strichstärken, keine Serifen Frutiger: Offene Skelettform, nicht wahrnehmbare Strichstärken, keine Serifen Avenir: geometrische Skelettform, nicht wahrnehmbare Strichstärken, keine Serifen ... Und wenn mal ein Hipster mit seiner geometrischen Semi-Serif-Antiqua um die Ecke kommt, kann man die auch einsortieren, wenn auch diese Schublade insgesamt recht leer bleiben wird. Aber man kann die einzelnen Eigenschaften direkt benennen und drüber reden. Alles andere, also Schmuck, Script, ... ist ohnehin formal so frei, dass sich fragen lässt ob eine Integration in eine allgemeine Systematik überhaupt zweckmäßig ist. Klar kann ich Script-Schriften z.B. in Werkzeuge unterteilen etc., aber das Kategoriesystem ist dann nur dort anwendbar, nicht universell. 1
R::bert Geschrieben September 30, 2020 Geschrieben September 30, 2020 Gar nicht ketzerisch sondern ernst gemeint: Wo würdest Du die Optima einsortieren, wo die Trebuchet und wo die Baskerville?
Sebastian Nagel Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 Ich probiers mal Optima Skelettform offen? (ja, ist wohl ein Übergang zwischen offen und geschlossen, analog zu einer Barock-Antiqua?) Serifenform keine (ja, man könnte noch eine Einstufung "angedeutete Serifen" einführen für "Flares") Strichstärkenkontrast gut wahrnehmbar Trebuchet Skelettform offen Serifenform keine Strichstärkenkontrast nicht wahrnehmbar Baskerville Skelettform offen? (siehe Optima-Einwand oben ... wir brauchen wohl eine "halboffene" Kategorie, sonst fallen Baskerville und Jenson in die gleiche Schublade ) Serifenform funktional Strichstärkenkontrast gut wahrnehmbar 1
R::bert Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 vor 59 Minuten schrieb Sebastian Nagel: Trebuchet Skelettform offen Hier könnte man eben auch schon darauf kommen, sie bei den geometrischen einzuordnen … zumindest nach meiner Wahrnehmung. Interessant, dass Du Dich kategorisch von den althergebrachten Klassen klassizistisch/statisch, humanistisch/dynamisch, etc. (welche Schattenachse und Strichführung mit einbeziehen) getrennt hast – offen heißt ja nicht zwangsläufig, dass es auch humanistisch ist.
R::bert Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 vor 59 Minuten schrieb Sebastian Nagel: (ja, ist wohl ein Übergang zwischen offen und geschlossen, analog zu einer Barock-Antiqua?) vor 59 Minuten schrieb Sebastian Nagel: (ja, man könnte noch eine Einstufung "angedeutete Serifen" einführen für "Flares") vor 59 Minuten schrieb Sebastian Nagel: (siehe Optima-Einwand oben ... wir brauchen wohl eine "halboffene" Kategorie, sonst fallen Baskerville und Jenson in die gleiche Schublade ) Ich denke auch: Wenn man bei den Strichstärkenkontrasten schon relativ »sensibel« differenziert, macht es auch Sinn diese Besonderheiten mit zu berücksichtigen, wobei eben halboffen wiederum nicht zwangsläufig barock bedeuten muss. 😬 Aber man wird wohl so oder so nicht alles unter einen Hut bringen. Wo wir auch wieder bei Ralphs Einstiegsfrage wären …
Gast Schnitzel Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 vor 2 Stunden schrieb R::bert: wobei eben halboffen wiederum nicht zwangsläufig barock Den Begriff Barock fand ich schon immer unpassend, die englische Bezeichnung transitional ist da eigentlich besser und könnte auch in dem Kontext passen. Also nicht halboffen sondern formal übergehend oder verbindend zwischen den beiden Gruppen
R::bert Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 vor 3 Minuten schrieb Schnitzel: Den Begriff Barock fand ich schon immer unpassend Weshalb? vor 3 Minuten schrieb Schnitzel: transitional ist da eigentlich besser Aus meiner Sicht eher nichtssagend, weil es ja auch bei anderen Gruppen Zwischenstufen gibt? 🤷🏼♂️
Sebastian Nagel Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 Die erste Frage ist ja, ob die drei Achsen "Skelett", "Strich" und "Serife" für die Sortierung lateinischer Schrift ausreicht, oder ob es noch mehr Achsen gibt / braucht? (ich denke z.B. an Tropfenform und An/Abstrichformen, aber wüsste jetzt nicht ob die im gleichen Rang stehen müssten wie die anderen). Die zweite Frage dann, wie genau und wie systematisch auf diesen Achsen differenziert wird. Und am Ende noch die Frage, wo die Kategorie aufhört und wo der individuelle Charakter dann anfängt ... wenn es den nicht gäbe, und mit dem sich eine Schrift eben einer kompletten Kategorisierung letztlich entzieht, bräuchten wir vielleicht wirklich nur 50 / 100 / 200 Schriften und hätten dann alle Kombinationsmöglichkeiten die es geben kann – oder die Kategorien wären nahezu so zahlreich wie die Schriften. ad klassizistisch/statisch, humanistisch/dynamisch Mein Eindruck ist da, dass z.B. "humanistisch" im Sinne der DIN-Klassifizierung ein paar Sachen zusammenfasst: eine bestimmte Skelettform ("offen") + eine Strichform ("dynamisch" / vom Schreibwerkzeug geprägt, ...) + vielleicht noch eine zeitliche/kunsthistorische Zuordnung ("wie aus der Renaissance oder diese zitierend") + ... Das trifft dann vermutlich auf fast alle Schriften durchaus zu, dass diese Eigenschaften zusammenfallen (drum hat die DIN sie ja auch so gruppiert), aber macht eine Kategorisierung schwierig für alle Fälle, die (weil konzeptionell genau so gewollt) in einer oder mehrerer Eigenschaften aus diesen Gruppen ausbrechen ... die haben dann keinen Platz mehr, in keiner Gruppe die mehrere Eigenschaften gemeinsam voraussetzt. ad Skelettform der Trebuchet tatsächlich hatte ich kurz "geometrisch" geschrieben ... das "g" und das "e" haben mich dann aber zum "offen" wechseln lassen ... die Schrift ist konzeptionell aber auch eher ein schwieriger Fall
Gast Schnitzel Geschrieben Oktober 1, 2020 Geschrieben Oktober 1, 2020 vor 3 Stunden schrieb R::bert: Weshalb? Weil ich unter barocken Formen eher was anderes verstehe – eher pompöser und verspielter. vor 3 Stunden schrieb R::bert: Aus meiner Sicht eher nichtssagend, Der Kontext macht es ja dann. Perfekt ist es sicherlich auch nicht.
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