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Was ist eine "Hipstergroteske"?

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Geschrieben

Der Begriff taucht in letzter Zeit hier ab und an mal auf - ich weiß nicht was das ist. Wäre nett, wenn das mal jemand erklären würde für ältere Mitbürger, die da nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind ... Dankeschön!

Geschrieben

Und ganz tief rein in den Klischee-Topf :-)

 

Hipster seien ja allgemein Menschen, die bestimmte Aspekte alter Szenekulturen (Populärkultur, Handwerk, Sport, ...) in ihre eigene Lebensweise und Selbstdarstellung aufnehmen, pflegen, überhöhen, ... – manchmal ganz konsequent, manchmal selbstironisch, manchmal unreflektiert und konsumistisch. Als Beispiel seien die Bärte (Barbar-Kultur), Bierbrauen (Craftbier), Radfahren (Fixies oder Waffenräder), Gaming (80er-Retro), Musikwiedegabe (Vinyl ab 180g halfspeed-cut), ... ... genannt. Also irgendwie "die guten Aspekte der alten Dinge" in neuen Kontext gestellt, entweder wirklich oder als Manierismus oder Zitat oder ...

 

Angewendet auf Schrift tauchen dann oft Remakes der ersten Grotesk-Schriften auf, ein bisschen Jugendstil, ein bisschen Moderne, ein bisschen Plakatschrift-Proportionen, ein bisschen Handmade-Dreck, ... (weiters manchmal Fotosatz-Optik, oder 90er-Digitalismus, oder Zeitungs-Antiquas, oder klassizistische Display-Schriften) die dann für Darstellung von z.B. oben genannten Themen in Kontext gesetzt werden.

 

Als Schubladisierung sind dann neue Schriftarten, die bewusst ein wenig "alt" aussehen oder ein bisschen seltsam oder ein bisschen zu auffällig, als Hipsterschriften eingeordnet – ich würde sagen da geht es eher um die offensichtliche Einsatzfähigkeit für solche Zwecke, als um eine ganz bestimmte Form.

  • Gefällt 7
Geschrieben

Hipster-Designmoden lassen sich meiner Meinung am Besten bei Websites wie creativemarket, creativefabrica oder, wenn man mehr Zeit hat, bei Pinterest beobachten. Hipster wollen hipper als hip sein und uniformieren sich in diesem Anspruch quasi. Daher diese Schwemme an handwritten fonts, die alle totaaaaaaaal hip und individuell sind. Und zumeist potthässlich (meine Wertung, andere haben andere Meinungen). 
Zur Zeit ist es ja total cool, Logos bis zur Beliebigkeit zu simplifizieren. Daher wäre mittlerweile auch Helvetica und Konsorten für mich zur Zeit eine Hipster-Schrift.
Weitere Erklärungen findest Du bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Hipster_(21._Jahrhundert)
 

Solche Auswüchse tragen dann nicht zu einer größeren Toleranz bei: https://gizmodo.com/starbucks-typewriter-guy-is-here-to-answer-all-your-bur-5990402

Auch diese Unmöglichkeit, heute noch eine einfache Tasse Kaffee zu bekommen mit einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis, ist Ausdruck der Hipster-Menschen, die, Apple-Macbooks nutzend die Starbucks, Coffee Campus, ... dieser Welt zu ihren Büros auserkoren, dort mit Over-Ear-Kopfhörern sitzen, auf denen dann stolz Marshall steht oder die Beats in die Welt trugen, die einfach nur matschig klingen, aber eine zeitlang hip ohne Ende waren, bis der Mainstream der Apple-Jünger und Wannabees die auch kauften.
Männliche Menschen, deren Frisuren, Bärte und Kleidung den Eindruck vermitteln, als kämen sie direkt aus einem kanadischen Baumfällercamp, sich aber dann über die Vorteile von Q10 im Vergleich zu Hyaloronan in ihrer Tagesgesichtscreme unterhalten und nicht mal einen Nagel in die Wand hämmern können, jedoch eine Werkzeugausstattung besitzen, die gestandene Handwerkern die Tränen in die Augen treiben. Menschen, die nicht zum Döner- oder Sushimenschen ums Eck gehen können, sondern sich einen Foodtruck vor die Tür bestellen.
Und falls ich den Eindruck erweckt haben sollte, ich mag diese Kultur nicht, dann ja, das stimmt: Wenn Du willst, dass etwas aussieht wie handgemacht, dann mach es mit der Hand! Deine Existenz wird für Dich nicht besser, wenn Du dein Yuppie-Dasein mit einer Tünche fremder Subkultur tarnst. Damit wirst Du nur zum Bobo. Und verhasst bei all denen, deren Ausdrucksmittel Du Dir in Deiner eigenen Orientierungslosigkeit aneignest. Du bist nicht Grunge, Du bist nicht Holzfäller*in, Du bist nicht Naturbursche/-mädel, Du bist nicht audiophil, Du bist nicht nachhaltig, Du bist nicht individuell, Du bist nur eine Kapitalismusdrohne wie alle anderen auch.

  • Gefällt 2
Geschrieben
Am 14.9.2021 um 12:15 schrieb Phoibos:

Auch diese Unmöglichkeit, heute noch eine einfache Tasse Kaffee zu bekommen mit einem angemessenen Preis-Leistungsverhältnis, ist Ausdruck der Hipster-Menschen

Ich greife jetzt einfach mal diese Passage heraus und widerspreche dir hier.

 

Der Zustand den du beschreibst trifft höchsten auf die Zentren von Großstädten zu. Bereits in den Randgebieten der selben wird es schon schwierig etwas anderes als über Stunden warmgehaltenen Filterkaffee niedrigster Qualität zu bekommen.

 

Die Kaffeeszene ist beispielsweise extrem nerdig/kreativ und ich würde das nicht sofort ins Negative ziehen. Das was nervt ist wenn der Mainstream sich auf diese Bereiche stürzt (weil sie Profit versprechen) und man plötzlich bei Netto Pseudo-Craftbier bekommt. Die eigentliche Craftbier-Szene macht genau das was du forderst — sie brauen ihr Bier selbst, zuhause oder schon professioneller und oft mit ziemlicher Hingabe (ich kenne da zufällig einige).

 

Ich verwende den Begriff oft ironisch und meine damit eher einen etwas übertriebenen Zeitgeist. Der kann amüsant sein aber natürlich auch nerven — wie die meisten Dinge.

 

:roll:
 

 

  • Gefällt 1
Geschrieben
vor 18 Minuten schrieb Microboy:

Der Zustand den du beschreibst trifft höchsten auf die Zentren von Großstädten zu

Da hast Du natürlich massiv Recht. Ich komm so gut wie nie aus Hamburg raus und mag eh keinen Kaffee, ich hab da auch eher das tradiert, was die Nicht-Hipster in meinem Umfeld an ihnen so nervt.
Ich würde Dir aber in Sachen Zeitgeist widersprechen wollen. Ich empfinde an der Hipster-Kultur wenig authentisches. Es ist eher die Gentrifizierung von Zeitgeistern durch Menschen, die zwar Geld, aber wenig eigenen Geist haben. Auch wenn es so klingen mag, ich spreche denen weder Intelligenz noch Kreativität ab, ich finde nur, dass sie allzu oft statt Zeit und Herzblut in die Entwicklung einer eigenen, authentischen Kultur zu investieren, einfach Teile anderer Subkulturen okkupieren und es damit jenen Kulturen es immer schwerer machen, sich selbst zu entwickeln. Hier in Hamburg gab es eine Zeit, in der Europaletten knapp waren. In der Upcycling-Projekte Probleme hatten, alte Fahrräder für wirtschaftlich abgehängte Menschen herzurichten, weil alle Fahrräder mit Gebrauchswert für Unsummen an Hipster verhökert wurden.
Und auch wenn ich darüber querulierte, Foodtrucks haben auch eine neue Fastfood-Kultur mit in die Stadt gebracht, keine Evolution, eher eine Revolution der Würstchenbude auf dem Wochenmarkt.
Aber es ist für mich kein Untergang christlicher Seeschifffahrt, es ist eine eine weitere Entwicklung. Vielleicht ein weiteres Symptom für den sich selbst vernichtenden Kapitalismus? Keine Ahnung, wohin uns die Wege noch führen werden. Die Bleisetzer hier im Forum haben es auch überlebt, dass ihre Setzkästen Plastikmüll aus Ü-Eiern Obdach boten.
Auch nicht jeder Mensch, der optisch oder durch Verhalten in die Kategorie Hipster passt, ist tatsächlich einer der Hipster, die vielen so verhasst sind. Auch da gibt es Menschen, die total tru (nur um zu zeigen, dass dieses Phänomen nicht alt ist und auch der Rap oder der Metal solcherlei Phasen erlebten) sind. Es sind die Menschen, die nicht wissen, wer Kurt Cobain ist, aber ein Nirvana-Tshirt tragen. Oder die Nirvana hip fanden, bevor es alle anderen taten (daher auch Steigerungsform hipster), aber 1995 geboren wurden...
Positiv wären Hipster Kultur-Remixer, negativ halt, wenn sie dies geschichtsblind machen.

Geschrieben

Danke! 
Ich bin offensichtlich wirklich nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Ich verstehe das "Neudeutsche" immer weniger. Hab nun viel über Hipster gelernt, ohne es wirklich zu begreifen. Wenn ich also "Retrodesign" etwas modernisiere und wild anhübsche (was ich schon seit über 30 Jahren ganz gern mache), mache ich also "Hipstertypo" und bin (ohne das gewußt oder gewollt zu haben) nun plötzlich selber Hipster - so hab ich das jetzt verstanden. Aber im Grunde machen das doch praktisch alle Typografen seit Jahrzehnten bzw. sogar Jahrhunderten ... ???
Was nun "Hipstergroteske" sind ist mir aber noch immer nicht klar. Letztlich gehen doch alle Groteske - mal mehr oder mal weniger - auf die AG, die Gill, die Futura und noch ein paar andere Klassiker zurück. So gesehen wären doch eigentlich sämtliche Groteske "Hipstergroteske" -  weil irgendwie retro. Wie eigentlich alle typografisch angewandte Schriften. Vielleicht versteht ein alter Mann wie ich das besser, wenn erklärt würde, welche Groteske denn nun keine "Hipstergroteske" wäre ... und warum?
Gibts eigentlich auch schon "Hipsterantiqua"?
Ahnungslose Grüße!

Geschrieben

Mmm, ich hab grad noch mal über Deine Frage nachgedacht.
Durch die Internationalisierung haben die großen Konzerne ihre Logos simplifiziert und sind von komplexeren Schriftzügen zu solchen in Sans Serif gewechselt (also ein ähnliches Phänomen, warum die Nazis die Gebrochenen irgendwann nicht mehr mochten). Das erweckt dann den Eindruck, Sans Serif wäre der heiße Scheiss und das Nonplusultra. Dann gibt es ein paar Trendsetter, die mit qualitativ hochwertigen Schriften die Grotesken auch in ihre Zirkel bringen. Dadurch werden die noch moderner. Und irgendwann kommen dann all diejenigen, die im Prinzip Comic Sans nutzen würden, aber grad sehen, dass viele, die es können, Groteske nutzen. Die wirklich guten oder die, die eine gewisse Individualität in sich tragen, kosten meistens Geld und manchmal auch die Dienstleistung von jemanden, der/die sich damit auskennt. Und da setzt dann das Elend ein: eine Legion halbseidener Schriften flutet die Kreativecken des Internets. Und da den Anwendern oft das Gespür oder das Wissen fehlt, werden Akzente zu Apostroph, händisch Umlaute gemalt, da der tolle Schriftsatz nur die 26 Buchstaben in Groß und Klein sowie die Zahlen umfasst, Kerning mit Hinting verwechselt, Ästhetik mit Mathematik verwechselt, Schriften, die nur für Logos genutzt werden sollten, werden im Fließtext eingesetzt, ...

Schau Dich hier um: https://inspirationfeed.com/free-hipster-fonts/
 

Eine Hipstergrotesk ist nicht per se schlecht, aber sie ist für mich stets im Bereich des Zuviel- oder Unpassend-Genutzten.


 

Geschrieben
vor 13 Stunden schrieb gutenberger:

Was nun "Hipstergroteske" sind ist mir aber noch immer nicht klar. Letztlich gehen doch alle Groteske - mal mehr oder mal weniger - auf die AG, die Gill, die Futura und noch ein paar andere Klassiker zurück. So gesehen wären doch eigentlich sämtliche Groteske "Hipstergroteske" -  weil irgendwie retro. 

Meine persönliche Kurzdefinition ist deshalb manierierte Grotesk, vulgo »Hipster-Grotesk« – (auch schon in anderem Zusammenhang geäussert, manchmal auch marinierte Grotesk wenn gut aufgelegt. S. auch Manierismus, lt Duden Stil im Übergang zwischen Renaissance und Barock, der durch eine Auflösung und Verzerrung der Formen der Renaissance … u. a. gekennzeichnet ist). Das Skelett ist auf die alten Groteskschriften zurückführbar oder lehnt sich bewusst daran an, aber durch irgendwelche Abweichungen wird eine Originalität forciert, die dann eher vordergründig als gewollter Eingriff wahrnehmbar ist (s. Schriften von lineto wie »Replica« – sic). Und es sind eher zeitgenössische Fonts … AG, Gill, Futura etc. sehe ich da nicht zugehörig, das sind halt Groteskschriften. 

  • 2 Monate später...
  • 6 Monate später...
Geschrieben

Ich finde, es sieht instabil aus, als ob es Angst hätte, umzukippen.
Habt Ihr das schon mal in Texten gesehen? Stört es irgendwie?

  • Gefällt 1
Geschrieben
vor 4 Stunden schrieb Phoibos:

Habt Ihr das schon mal in Texten gesehen? Stört es irgendwie?

Stört ist vielleicht das falsche Wort – es fällt aber sicher auf und das soll es bei den Hipster-Fonts ja auch. Schrullige Details gehören ja zum Konzept …

Geschrieben
vor 4 Stunden schrieb Microboy:

Gibts eigentlich einen Namen für diese Form von M, N, Z und A (Siehe Neue Power)?

Ein offizieller Name dafür ist mir nicht bekannt. In einschlägigen Kreisen war für diese Formen vor ein paar Jahren mal die Bezeichnung »brutalistisch« (“brutalist”) geläufig. Der Gedanke ist zwar nachvollziehbar; vielleicht wollte man aber auch nur auf dem Trittbrett des entsprechenden Trends mitfahren.

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