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"Übungs"-Schriften für Laien, sinnvoll und wenn ja welche?

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Geschrieben

Ein beliebtes Thema dieses Forums (und auch der Grund für dieses Unterforum) ist ja die Wahl einer passenden Schrift. Hier schreiben dann auch immer gerne Laien wie ich, was man denn für das eigene Buch, die Website, die Firma, die Abschlussarbeit so nehmen könnte. Man konzentriert sich also recht stark auf ein einziges technisches Detail, und zu Recht liest man wiederholt hier dann, dass die Anwendung, sprich Layout um so wichtiger ist. Nur weil man Sabon nimmt, wird das Ergebnis nicht automatisch schön, und mit genügend Fingerspitzengefühl ist auch Times New Roman gefällig genug.

 

Da in näherer Zukunft einige Hobby-Projekte im Print- und teilweise Online-Bereich vor mir liegen, würde ich mich gerne tiefer mit der textlichen Ausgestaltung befassen, früher nahm mir im akademischen und beruflichen Bereich LaTeX bzw. CD-Vorgaben sehr viel Arbeit ab. 

 

Würde es nun Sinn machen, hier eine Art Übungs-Schrift oder deren zwei, drei zu nehmen und sich erst einmal darauf zu konzentrieren? Also nicht vom Anfang an sehen was denn dem Thema am nächsten kommt, sondern dies für eine etwaige spätere Kenntnisstufe zurück zu halten und erst einmal mit weniger Werkzeugen zu arbeiten? Aber eben hier nicht zu sehr konzentriert auf "Womit kann ein Laie am wenigsten Schaden machen?", sondern auch mit einem gewissen didaktischem Ziel. 

 

Wenn ja, was käme denn hier in Frage? Kann mir gut vorstellen, dass dies nicht die gleiche Wahl wäre, die ein Profi nehmen sollte wenn hier z.B. für die nahe Zukunft nur noch eine Serifen-/Serifenlose Schrift im Werkzeugkasten wäre.

 

Natürlich auch gut möglich dass dies jetzt nur übertriebener Minimalismus/Askese wäre, und man sich auch als Anfänger beim Spektrum zwischen einer Schrift und dem ganzen Schriftenköcher nicht zu sehr aufs Extrem konzentrieren sollte.

Geschrieben

Ich verstehe noch nicht so richtig warum Du erstmal mit „Übungsschriften“ arbeiten willst. 
 

Wie dem auch sei kann man sich natürlich ganz bewusst „beschneiden“ und dazu entscheiden generell nur mit einer Hand voll Fonts im Köfferchen zu arbeiten. Genauso wie man aufgrund einer Haltung/Philosophie nur bestimmte Farben, Papiersorten, Formen etc. wählen kann und damit im besten Fall eine eigene gestalterische Handschrift entwickelt. 
 

Umso sorgfältiger sollte man aber dann die wenigen Fonts auswählen, damit man mit ihnen auch den potentiell vielfältigsten Satz-Herausforderungen gewachsen ist. Neben einer „Allzweckformensprache“ kann auch der Blick auf den Ausbau (Sprachabdeckungen, Kapitälchen, Ziffernsets, Versaleszett, etc.) nicht schaden. Ob diese Herangehensweise insbesondere für Einsteiger eine gute Idee ist, bezweifle ich. Man muss erstmal mit ihnen arbeiten um zu entdecken, welche Tücken aber auch Funktionen in ihnen stecken, glaube ich.

 

Hast Du Dich schon mit entsprechender Literatur zum Thema befasst?

  • Gefällt 1
Geschrieben

Einerseits lernt man durch die praktische Anwendung, andererseits können da die Feinheiten einer uralten Kunst und Gewerbes entgehen.
Ein gutes Nachschlagewerk ist die Detailtypografie. Oft wird hier auch die Lesetypografie empfohlen. Ich besitze zwar beide, habe aber bisher nur die Detailtypografie genutzt. Unterhaltsam und zugleich lehrreich war mir die Fibel (Link führt zu Amazon) von Tschichold, auch wenn dieser meinem Eindrucke nach nicht allzu großer Beliebtheit (Wegen seines autoritären Stils? Wegen des Spannungsfeldes Neue Typografie versus Konservatismus?) erfreut.
Schrift ist ja nur ein Bestandteil guten Designs, auch der Weißraum und die Seitengestaltung spielen eine wichtige Rolle für den Gesamteindruck. Da hat es mir geholfen, mich auch mit der Entstehungsgeschichte einzelner Schriften zu beschäftigen, denn eine Comic Sans ist nicht per se mistig, es ist ihre unangemessene Verwendung. Gleiches gilt auch für die Times. Eine Schrift, die für Telephonbücher gedacht ist, kann bei einem sehr sorgfältigen Design vielleicht auch für Belletristik funktionieren, doch warum solltest Du es Dir da schwer machen, wenn es solch gut gelittenen Arbeitstiere wie die Garamond gibt? Oder die Schriften, die für heutige multimediale Anwendungen gebaut sind, die im Print wie auf dem Bildschirm eine gute Figur machen?
@R::berthat hier auf ein sehr interessantes Video verwiesen, in dem @Albert-Jan Pool sich zur Lesbarkeit von Schriften äußert.

vor 5 Stunden schrieb mhd:

die gleiche Wahl

Optionen gibt es so viele, wie es Typographie-Interessierte gibt. Schau Dich ruhig bei unseren Listen um, da gibt es sehr interessante, weil begründete Listen mit Lieblingsschriften. Oder die Reihe "100 beste Schriften" von Fontshop (Das PDF kannst Du via Suchmaschine Deiner Wahl finden 😉 ).

  • Gefällt 1
Geschrieben

Vielen Dank für die Literatur Tipps. Ja, ich versuche mich hier gerade wieder ein bisschen aktueller zu belesen. Ich hatte vor Urzeiten mal ein paar übliche Computer-DTP/Typographie-Bücher gelesen (Robin Williams' Non-Designer's Design Book würde mir noch einfallen), und mein Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie hat sogar einige Umzüge überstanden und liegt noch neben mir. Gerade arbeite ich mich durch Inside Paragraphs durch, und sehe dass ich die Grundbegriffe etwas mehr intus bekomme.

 

Das bekommt man natürlich nicht durch Lesen, also muss geübt werden. Und da gibt es natürlich gerne die Illusion dass es einfach nicht "gut" aussieht weil es die falsche Schrift ist. Also dann die nächste nehmen, und wenn das noch nicht funktioniert liest man hier und kauft eine, weil man's auf die kostenlosen/Systemschriften dann schieben kann. Wie der Hobby-Handwerker der teure Werkzeuge kauft, anstatt einfach mal mit denen die er hat zu üben.

 

Und klar, es gibt hier sehr gute Listen, aber da mag dann vielleicht auch viel drunter sein was in Meisterhand glänzt, aber die Hand des Novizen eher blutig macht. Paul Renner konnte sicher mit Futura etwas leisten, ich weniger.

 

Also einfach z.B. Charter/Fira Sans nehmen und dann erst mal eine Weile damit herumexperimentieren, bzw. für private Projekte unterschiedlicher Art nehmen (geht bei mir eher in die Dokumentations-/Sachbuch-Richtung, beruflich und privat)? Oder doch mehr diversifizieren?

Geschrieben

Ich finde den Ansatz etwas zu theoretisch. Typografie ist das Zusammenspiel aus Schrift und Layout. Da muss man mit beidem experimentieren. Gleichzeitig. So sammelt man Erfahrungen: Ein stimmiger Grauwert, Weißraum etc., den du mit Schrift A erzielst, kann dir mit Schrift B plötzlich seltsam unangenehm vorkommen. Da musst du dann ran und ausprobieren, analysieren, lernen. Das dauert zwar, aber da muss man wohl durch. Reduzieren kann man dann später, wenn man weiß, warum.

 

Anders als ein Hobbyhandwerker, der mit zu billigem Werkzeug einer hohen Wahrscheinlichkeit ausgesetzt ist, gar nicht umhinzukönnen, Murks zu produzieren, gibt’s für unsereinen mittlerweile ja ausreichend Möglicheiten, auch gute bis sehr gute Schriften für kein oder sehr wenig Geld zu bekommen.

  • Gefällt 2
Geschrieben
vor 11 Stunden schrieb mhd:

Also einfach z.B. Charter/Fira Sans nehmen und dann erst mal eine Weile damit herumexperimentieren, bzw. für private Projekte unterschiedlicher Art nehmen (geht bei mir eher in die Dokumentations-/Sachbuch-Richtung, beruflich und privat)? Oder doch mehr diversifizieren?

Ich habe, bevor ich mir einen Schriftenschrank zusammenstellte, erst einmal mir viele Schriften angeschaut, die ich mag. Sobald ich die Schriften auf eine überschau- und handhabbare Anzahl destilliert hatte, habe ich mir angeschaut, was die Schriften, die ich schön fand, gemein hatten innerhalb ihrer Kategorien. Dann hab ich geschaut, wo ich das Schöne besonders schön fand und wie der Ausbau der Schrift war (Sprachen, Zeichen, Schnitte), dazu habe ich einen kleinen Beispielabsatz genommen, der für mich essentielle Zeichen beinhaltete und schlicht mit den Voreinstellungen und gleicher Punktgröße eine Menge Papier bedruckt (so lernte ich dann ganz bildhaft, dass die Punktangabe in der Textverarbeitung nichts mit der effektiven Größe auf dem Papier zu tun hat). Da sind dann wieder ein paar ausgeschlossen worden. Und dann hab ich die Schriften völlig wahllos eingesetzt: für Briefe an die Verwandten, für den Einkaufszettel, für Unterrichtsmaterialien (da konnte ich dann auch so im ganz kleinen schauen, wie Schriften bei den Leser*innen ankam). Ich habe mit Tintenstrahlern, Laserdruckern, Premiumpapieren und dem Klopapier, dass die Schulbehörde seinen Druckern zumutet experimentiert. Mit Schriftgrößen. Mit Zeilenabständen. Und irgendwann hatte ich dann so zwanzig Schriften, mit denen ich halbwegs umgehen konnte (natürlich im Rahmen eines Laien, ich würde für mich da keine Kunstfertigkeit beanspruchen). Und die mir auch Spaß beim Einsatz brachten, da ich ja nicht mehr für Leser*innen drucke (Behördenmenschen etc. ist es völlig egal, wie die ihre Formulare zurückbekommen).
Ich habe mich nie groß mit Mikrotypographie auseinandergesetzt, da ich den Voreinstellungen derjenigen, die die Schriften gezeichnet habe, für den Alltagseinsatz vertraue (bis auf die Anwendung "Gesperrt", da wusel ich ab und zu in den Abständen rum, bis sich bei mir ein Gefühl von Perfektion einstellt (also total subjektiv, die Profis dürfen da gerne auch die Hände übern Kopf zusammenschlagen)).

Lange Geschichte, kurzer Sinn: Verschaff Dir eine Übersicht über die Schriften, dampfe die auf ein, zwei Dutzend runter und erwirb Dir dann Erfahrungen im Einsatz. Auch wenn es nach einem Designoverkill klingt: nutze Dein Layoutprogramm auch für den Einkaufszettel. Probiere die Möglichkeiten aus.
Ich würde mich nicht vorschnell auf eine, zwei Schriften festlegen, denn wenn Du Dir da jetzt aus einer eher praxisferneren Sicht Einschränkungen auferlegst, verlierst Du auch später so ein Gefühl für eine spielerische Flexibilität. Und spiele mit Papierformaten herum und dem Spannungsverhältnis von Schwarz und Weiß auf dem Papier. Ich habe, da ich mir ja nun keine Sonderngrößen kaufen wollte, dann mit einer Tabellenzelle eine Art virtuelle Seite in der Textverarbeitung erstellt und die dann hinterher aus dem A4-Blatt ausgeschnitten.

 

  • Gefällt 4
Geschrieben
Am 25.9.2021 um 19:57 schrieb mhd:

Also einfach z.B. Charter/Fira Sans nehmen und dann erst mal eine Weile damit herumexperimentieren, bzw. für private Projekte unterschiedlicher Art nehmen (geht bei mir eher in die Dokumentations-/Sachbuch-Richtung, beruflich und privat)? Oder doch mehr diversifizieren?

Viel Gutes wurde schon gesagt. Aber den Ansatz den Du hier verfolgst ist aus meiner Laiensicht gar nicht mal so verkehrt. Man muß ja mit Schriften Erfahrungen sammeln, und auch genauer lernen was es für Hürden gibt. Es ist, aus meiner Sicht, eine gute Idee mal eine wirklich professionelle Schriftenfamilie zu nehmen und ganz konkret ein bestimmtes Problem anzugehen. Das zeigt dann doch recht schnell ob der nötige Zeichenvorrat vorhanden ist, wie sich das Projekt präsentiert, ob Dir der Gesamteindruck zusagt etc. Falls Du auch etwas "billiges" im Schriftköfferchen hast würde ich dann die gleiche Arbeit noch einmal mit einer weniger durchdachtene Schrift machen. Falls Dir das Thema gefällt sparst Du Dir mit einem solchen Ansatz ggf. Mühe und Kosten. Ich habe immer mal wieder bei vergleichsweise dubiosen Sonderangeboten zugeschlagen, und meistens zeigt sich hier eben doch daß es diese Sonderangebote aus einem guten Grund gibt. Man stolpert alle Nase lang über kleine (oder auch größere) Probleme die es oftmals mit den professionellen Familien nicht gibt. Das ist hilfreich, weil man lernt daß "Sonderangebote" eben oftmals keine Sonderangebote sind. Und man lernt  auch Details eine professionellen Schrift zu schätzen.

  • Gefällt 4
Geschrieben

Vielen Dank für eure Erfahrungsberichte Phoibos und CRudolph. Ich dachte jetzt auch nicht, dass irgendeine Herangehensweise ans Lernen und Üben per se falsch ist, aber gerade die persönliche Meinung und Erfahrung von anderen die das schon gemacht haben finde ich hier sehr interessant. Insbesondere auch andere Laien und Hobbyisten.

 

Ich denke ich werde mich da so auf eine "gesunde Mitte" bewegen. Jetzt nicht nur die asketische Meisterschaft einer Schrift, aber jetzt auch nicht den gesamten verfügbaren Topf aufmachen bzw. sogar überlegen ob man sich etwas dazukauft. Da stelle ich mir also gerade einen kleinen Werkzeugkasten zusammen, was mir gefällt, was verbreitet ist, was man als Kontrast reinnehmen sollte (die erwähnten billigen Schriften, ob nun a la Data Becker oder Amateur-Nachbauten; aber auch Times/Arial). Da kommen dann so ein Dutzend Schriften oder mehr leicht zusammen, auch ohne sich anzustrengen.

 

Nochmals Danke für den Lesetypografie-Tipp, das ist gerade angekommen und es sieht schon sehr vielversprechend aus, mehr über den gesamten Buchaufbau verschiedenster Arten. Gerade was so den Sachbuch-Bereich betrifft habe ich das bei den Anfänger- und geschichtlicheren Bücher nicht so viel davon gehabt. Vielleicht verstehe ich dann bald mal warum es heute bedeutend weniger horizontale Linien gibt im IT Fachbuchbereich…

 

Achja, als "Füller" bei der Lesetypografie Bestellung war auch Tschicholds Meisterbuch der Schrift dabei, wo z.B. geschrieben steht «Denn zuerst muss man mal eine Schrift beherrschen lernen. Manche werden sich zum Spezialisten für, sagen wir, eine Renaissance-Antiqua, die Steinschrift oder Bodoni ausbilden. Aber wer einmal eine Schrift richtig anschauen gelernt hat, kann eine andere um so leichter erfassen.»

So viele Wege wie Schriften 😉

Geschrieben

Aus meiner Sicht, die aber auch nur die eines Laien ist, gibt es durchaus einen guten Grund, mit einer Schrift zu üben:
Die Nutzung von OT-Features. Eine Schrift, die (mehrere, sinnvolle) solche hat, ermöglicht, sich mit dem Einsatz von Kapitälchen, Proportional- oder Tabularziffern (moderne und oldstyle), eventuell alternativen Buchstabenformen etc. auseinanderzusetzen. Das ist auch Handwerkszeug, das erstmal erlernt werden muss; wer wie ich früher einfach in einem Officeprogramm mit einer der vorhandenen Schriften seinen Text runtergetippert hat, kann das nicht von allein..

  • Gefällt 1
Geschrieben

Die Riesenmenge an verschiedenen Schriften kann für den Neueinsteiger unübersichtlich, verwirrend, überwältigend sein. Für den Überblick über die Klassiker haben mir seinerzeit die Bücher von Günter Schuler (1, 2) geholfen, die freilich nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind (weil sie besonders die nicht gut gepflegten Schriften von Linotype, Monotype und ITC vorstellen). Heute würde ich eher de Jongs Schriftwechsel empfehlen.

 

 Trotzdem rate ich beim Aufbau einer eigenen Schriftbibliothek von einem Einkauf nach Katalog (also eine bekannte Serif, eine bekannte Sans, usw.) ab – denn welche Klassiker sollen es denn sein: eine Garamond, eine Helvetica? Und dann: welche Garamond (1, 2, 3, 4 etc.), welche Helvetica (1, 2, 3, 4 etc.)?

 

Das kann schnell den Geldbeutel leeren, ohne dass man weiß, wofür man die lizenzierten Schriften eigentlich einsetzen möchte. Ich habe manche Schrift (oft wegen eines tollen Sonderangebots) erstanden, ohne dass sie je zur Anwendung kam. Die verlockenden Schriftmuster haben häufig dazu geführt, dass ich mich in eine Schrift aufgrund ihrer äußeren Erscheinung verliebt habe und sie unbedingt haben wollte. Aber Schrift soll nicht nur schön aussehen, sie soll der Sache, nämlich der Verständigung mit dem Leser, dienen. 

 

Daher habe ich seinerzeit zur Übung mit einem fiktiven Projekt begonnen, das bestimmte typografische Anforderungen stellte. Es war kein Akzidenzsatz (Visitenkarte, Poster), aber auch kein Brot-und-Butter-Satz (Novelle, Roman), sondern ein kleines Sachbüchlein (mit Listen, Tabellen, Formeln, Fußnoten, Literaturverzeichnis, Register). Dafür habe ich zunächst geprüft, welche Glyphen und welche Schriftschnitte das Projekt benötigt (siehe Prüflisten am Ende). Erst wenn diese Voraussetzungen geklärt waren, können die gestalterischen Fragen gestellt werden: Welcher Klasse soll die Schrift angehören (Sans, Serif, Slab), wie soll die Anmutung sein (dynamisch, statisch), ist vielleicht sogar Schriftmischung beabsichtigt (dann sollte ein Anfänger auf eine vorkonfektionierte Schriftsippe zurückgreifen)?

 

Wenn man diese Frageliste abgearbeitet hat, wird man merken, dass die Unmenge der Schriften schnell auf ein, zwei Dutzend mögliche Kandidaten zusammenschmilzt. Und dann fällt die Auswahl gar nicht mehr so schwer.

 

Während der Arbeit an meinem Projekt tauchten Klippen auf, die ich entweder durch geschickte Gestaltung umschiffen konnte, oder anhand derer ich feststellen musste, dass die gewählte Schrift nicht die richtige war, um das Problem zu lösen. Da begann dann der Lernprozeß, der dazu führte, bei der nächsten Schriftwahl genauer zu bedenken, was ich eigentlich von der gesuchten Schrift erwarte. Sobald sich diese Einsicht eingestellt hatte, konnten mich die schönsten Specimens nicht mehr mit den großen bezaubernden Schriftformen verführen: Mein Blick ging dann (fast) immer an das Ende des Schriftmusters zu den Glyphenübersichten. Wenn ich diese Zeichenzusammenstellungen studierte, konnte ich besser entscheiden, was zu leisten eine Schrift im Stande ist.

 

Doch das Begutachten einer Schrift anhand der gedruckten oder digitalen Muster ist nicht alles. Denn nochmal etwas ganz anderes ist es, mit der Schrift zu arbeiten. Dann merkt man, ob sie auch technisch gut gemacht ist: Sind die Opentype-Möglichkeiten gut umgesetzt? Sind die Stylistic Sets sinnvoll eingerichtet? Manche teure Schrift von namhafter Foundry war in dieser Hinsicht mangelhaft; oft waren die Schriften von kleineren Schrifthäusern oder sogar von Einzelkämpfern gerade in dieser Hinsicht wesentlich besser. Viele kleinere Schriftvertreiber haben mir sogar einzelne Testschnitte zukommenlassen, die nicht im Glyphensatz reduziert waren, wie die meisten angebotenen Try-Fonts. Das setzt aber gegenseitiges Vertrauen voraus. Und wenn man öfter mit einem Schriftdesigner zusammenarbeitet, kann es sogar geschehen, dass er einem kleine Änderungswünsche unentgeltlich in den Font einarbeitet.

 

Wenn abonniert, sind die Fonts der Creative Cloud von Adobe und bedingt Monotypes SkyFonts ein guter Anfang. Sehr hilfreich ist die stundenweise Probefahrt bei Fontstand.

 

Wenn ich heutzutage völlig unbeleckt mit Typografie beginnen müsste, würde ich wahrscheinlich mit einer der besserausgebauten Google-Fontsippen beginnen. Die kosten nichts und ein Fehlgriff geht nicht ins Geld. An ihnen kann man sein Urteil schärfen, um dann, wenn eine teure Schrift lizenziert werden soll, wesentlich sicherer einschätzen zu können, was sie zu leisten vermag.

 

Zum Schluss eine Bitte: Wenn man sich entscheidet, eine Schrift für eine Arbeit einzusetzen, diese bitte unbedingt lizenzieren. Das gebietet nicht nur der Anstand. :ilovetype:

 

 

 

Prüfliste zum Zeichensatz:

  • Lateinisch mit welchen diakritischen und sonstigen ausgefallenen Buchstaben (Index-, hoch- und tiefgestellte Buchstaben; Eurozeichen [fehlte damals oft]; eventuell ein Versal-ẞ [das gab es damals noch nicht in Fonts]; vielleicht sogar IPA)?
  • Fremde Schriftsysteme: mono- oder polytonisches Griechisch; Kyrillisch und falls ja mit welchen Landesspezialitäten; Hebräisch usw.?
  • welche Art der Ziffern (proportionale oder dicktengleiche Majuskel-, Minuskel-, Kapitälchenziffern; Index-, hoch- und tiefgestellte Ziffern; eingekästelte oder eingekreiste Ziffern)?
  • bestimmte Währungssymbole, mathematische Zeichen und sonstige Symbole (Dingbats, verschiedene Pfeile [die Auswahl ist fast immer zu klein], Spitzklammern [fehlen fast immer], Akkoladen [müssen oft aus anderen Fonts genommen werden])?

Prüfliste zu Schriftschnitten:

  • Roman mit Kapitälchen (!)
  • Italic [sollte nicht zu extravagant sein, wenn sie oft zur Auszeichnung genutzt wird]
  • verschiedene Strichstärken (von Ultra-/Extraleicht über Normalfett bis Extra-/Ultrafett) [immer hinterfragen, was wirklich gebraucht wird]
  • verschiedene Weiten (von Ultra-/Extraschmal über Normalbreit bis Extra-/Ultrafett) [auch hier den Overkill vermeiden; kann bei engen Spalten oder Tabellensatz aber sehr hilfreich sein]
  • Optische Größen (opticals) um den Feinsatz in verschiedenen Schriftgrößen zu verbessern [das war damals der heiße Scheiß]
  • Gefällt 5
  • ich liebe es 2
Geschrieben
vor 7 Stunden schrieb Thomas Kunz:

Italic [sollte nicht zu extravagant sein, wenn sie oft zur Auszeichnung genutzt wird]

Und auch hier würde ich mittlerweile raten, diese auf Kapitälchen zu prüfen.
Ich wurde vor ein paar Jahren beauftragt ein Journal-Layout für einen Auftraggeber zu entwerfen, dessen Markennamen in Versalien gesetzt wird. Natürlich folgten dann später auch Texte damit. Im Mengensatz war der herkömmliche Versalsatz aber viel zu dominant. Also hatte ich eine passable Kapitälchenlösung gefunden. Als dann aber später auch Zitate folgten, für die ich konsequent Kursivsatz vorgesehen hatte, war der Kummer groß als sich herausstellte, dass die von mir ausgewählte Font-Font-Schrift (bei der ich eigentlich auch Kapitälchen in der Kursiven vorausgesetzt hatte) hier „schwächelt“.

 

Daher habe ich das später auch in meiner Mengensatz-Fontliste ganz bewusst mit als Kriterium aufgenommen.

  • Gefällt 1
Geschrieben
vor 15 Minuten schrieb R::bert:

auf Kapitälchen zu prüfen

Da ist es manchmal sehr hilfreich, wenn diese auch in einem Extrafont zur Verfügung stehen, denn jenseits der Layoutprogramme sind die Textverarbeitungen oft nicht in der Lage, die Kapitälchen direkt anzusprechen und murkeln sich dann mit Rumrechnerei eine maue Präsentation aus den Versalien zusammen.

Geschrieben
vor 19 Minuten schrieb Phoibos:

wenn diese auch in einem Extrafont zur Verfügung stehen

Was das finale Filterergebnis nochmals massiv minimieren dürfte – wenn es überhaupt noch eins gibt. 😬

 

Aber interessanter Punkt – der ggf. nochmals die Relevanz verdeutlicht, ob wir hier über professionellen Einsatz (mit entsprechenden Layoutprogrammen) sprechen oder nicht.
Von welchen jenseits sprichst Du da aber genau? Pages (Apple) zum Beispiel bietet ja mittlerweile eine ziemlich umfassende Unterstützung soviel ich weiß. Hängen Microsoft und andere da tatsächlich noch soweit hinterher?

Geschrieben

Also definitiv kann Textmaker keine Versalien. Und wenn die nicht als OTF-Feature hinterlegt sind, zweifel ich, dass die OpenOffice-Derivate und Word die auch finden können. Von Excel mal zu schweigen. Also all die Programme, die über solcherlei Einstellungen Kapitälchen erzeugen: image.png.4e1bd5fd67639ec7209969f1ff0dd79e.png

Aber da ich nur Textmaker nutze, können vielleicht andere Dir präzisere Antworten geben.

Geschrieben

Auch von mir vielen Dank für diese ausführliche Auflistung der Kriterien. Das ist dann aber fast schon ein weiteres gutes Argument für mehrere Schriften auch im Anfänger-Laien-Portfolio, denn es wird wohl wenig geben was dies alles abdeckt und dann noch vom Schriftcharakter auch so universell ist, dass es für jedweden Anwendungszweck zumindest ausreicht. Selbst gute Kaufschriftarten mögen dies ja nicht haben, weil die Digitalisierung vielleicht etwas älter ist bzw. das historische Vorbild mit manchen Varianten nicht aufwerten konnte.

Bei mir wird es auch darauf hinauslaufen, dass ich für gewisse Projekte auch frei verfügbare Schriften benötige (quelloffen oder Web), dann wird's sicher noch schwieriger. Da werde ich dann wohl mit meiner obigen "einfach Charter/Fira Sans nehmen" These nicht mal so schlecht liegen.

 

Software ist übrigens (unter MacOS) Pages, LaTeX und seit kurzem (und ungeübt) Affinity Publisher je nach Projekt, zudem der jeweilige Endnutzer-Browser, natürlich. Vielleicht auch wieder mehr OpenOffice, wenn ich weniger am Mac sitzen werde. Da ist OpenType jetzt m.W. nach nicht das Hindernis.

Und das Betriebssystem selbst hat ja anscheinend sogar ein paar neue Lizenzschriften zu bieten, Founders Grotesk oder Canela sehen ja vergleichsweise gut ausgebaut aus, gerade im Vergleich zu ein paar der älteren beiliegenden traditionellen Schriftarten (Garamond, Palatino, etc.).

Geschrieben

Meines Wissens hat Openoffice keine Unterstützung für Opentype-Features.
Libreoffice hingegen schon, klappt hervorragend.

Geschrieben
vor 55 Minuten schrieb mhd:

Und das Betriebssystem selbst hat ja anscheinend sogar ein paar neue Lizenzschriften zu bieten, Founders Grotesk oder Canela sehen ja vergleichsweise gut ausgebaut aus, gerade im Vergleich zu ein paar der älteren beiliegenden traditionellen Schriftarten (Garamond, Palatino, etc.).

Auf jeden Fall. Aber beim kleinen für uns hier jedoch nicht unwesentlichen Detail Versaleszett hapert es auch dort noch, so viel ich weiß.

 

vor 55 Minuten schrieb mhd:

denn es wird wohl wenig geben was dies alles abdeckt und dann noch vom Schriftcharakter auch so universell ist, dass es für jedweden Anwendungszweck zumindest ausreicht. Selbst gute Kaufschriftarten mögen dies ja nicht haben, weil die Digitalisierung vielleicht etwas älter ist bzw. das historische Vorbild mit manchen Varianten nicht aufwerten konnte.

Dann schau Dir ruhig gern – zumindest was die Serifenfonts angeht – nochmal die besonderen Empfehlungen dieser Liste an:
 

 

Da wurde zumindest ein Großteil der Kriterien berücksichtigt.

 

Mein persönlicher Eindruck ist, dass man insbesondere die Thesis-Sippe*, welche mittlerweile auch mit einem sehr gut funktionierenden Versaleszett ausgestattet wurde, wieder mit gutem Gewissen als Allrounder unter den Kaufschriften empfehlen kann.

 

Und bei den Freefonts sollte man inzwischen beispielsweise mit der Noto-Familie recht weit kommen.

 

Aber mit ein wenig Recherche, zum Beispiel in unseren Listen- respektive Fontwiki-Einträgen, findest Du sogar noch mehr. 😉


 

*Die essenziellen Unterfamilien:

  • TheSans (Sans)
  • TheSerif (Slab)
  • TheAntiqua (Serif)
Geschrieben
vor 20 Minuten schrieb BerndH:

Meines Wissens hat Openoffice keine Unterstützung für Opentype-Features.
Libreoffice hingegen schon, klappt hervorragend.

Ich meinte sogar LibreOffice, alter Gewohnheitsfehler. Ich bin ja schon froh, dass ich nicht mehr StarOffice dazu sage… Läuft leider bei mir unter MacOS etwas zäh, also tendiere ich bei "leichter Kost" eher zu Pages.

 

vor einer Stunde schrieb R::bert:

Auf jeden Fall. Aber beim kleinen aber für uns hier essenziellen Detail Versaleszett hapert es auch dort noch, so viel ich weiß.

Ja, das schränkt natürlich einiges ein, u.A. halt auch alle älteren Schriften. Gut dass ich viel auf englisch schreibe...

Aber auch ein Faktor den man im Auge behalten sollte, wenn die Fortschritte etwas mehr Investitionskapital rechtfertigen.

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