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Wissenschafts-Typografie

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Geschrieben

Hallo Leute,

 

ich suche nach Buchtipps zum Thema Wissenschafts-Typografie. Bestenfalls ein Werk, welches das Thema wirklich erschöpfend beleuchtet. Oder etwas in der Art der Lesetypografie, das anhand von Beispielen viele relevante Schwierigkeiten und Grenzfälle abhandelt. 

 

In der einschlägigen Literatur erscheint mir das Thema unterrepräsentiert. Lesetypografie und Detailtypografie liefern ein paar Bröckchen an Informationen, aber nichts Ausführliches und auch keine weiterführende Literatur. Ich kenne aber natürlich nicht jedes Buch unter der Sonne, Typo ist für mich ja nur ein Hobby. Vielleicht weiß einer von euch mehr.  

 

Dabei ist es doch so spannend als Sonderfall. Hoch differenzierte Texte für Fachpublikum sind schon aufgrund ihrer strukturellen Komplexität und der unterschiedlichen Vorgaben der Fachbereiche nicht einfach zu setzen. Wenn dann der Anspruch besteht, die reine Zweckmäßigkeit noch mit Ästhetik zu verheiraten und gleichzeitig den etablierten Konventionen gerecht zu werden, wird es schwierig.

 

Ein paar konkrete Schwierigkeiten: Viele differenzierte Auszeichnungen und Textebenen. Dazu fremdsprachige Begriffe und Abschnitte, mathematische Symbole, Phonetische Symbole, Einschübe, Fußnoten, Glossare, Tabellen, Register, Bibliographien und möglicherweise alles zusammen. 

Geschrieben
vor 12 Minuten schrieb tidus89:

In der einschlägigen Literatur erscheint mir das Thema unterrepräsentiert

Moin,

das liegt daran, dass Wissenschaftler*innen extrem konservativ in ihrer Erwartungshaltung an Design sind, Verlage ihre Hausregeln und Fachbereiche ihre eigenen Gepflogenheiten haben. Da ein Buch jenseits der üblichen guten Gewohnheiten zum Layout zu schreiben, ist müßig. 
Im Zweifel hilft ein Blick in die jeweiligen maßgeblichen Reihen. 

  • Gefällt 2
Geschrieben (bearbeitet)
vor 40 Minuten schrieb Diwarnai:

Welche Fragen stellen sich dir denn

Keine konkreten. Ich suche einfach eine Ressource, die alle Stränge zum Thema zusammen bringt. Ein bisschen schade, wenn es da nichts gäbe, aber verständlich.

 

Ich lese recht viele wissenschaftliche Essays, Artikel, Aufsätze und Abhandlungen. Da ist es auffällig, wie unterschiedlich die Gepflogenheiten und die Umsetzung der Typografie sind. Unterschiedlich nicht nur im Stil, sondern auch in der Güte der Ausführung. Manches ist wirklich schwer zu lesen, anderes besser. Manches Design wirkt stilisiert (aus dem angloamerikanischen Raum dann oft altertümlich in der Anmutung), anderes betont unauffällig und zurückhaltend. 

 

Das wenigste würde ich aber als gut bezeichnen. Da sollte doch mal jemand kommen und erklären, wie man es besser machen könnte 😛 

bearbeitet von tidus89
Geschrieben

Ich würde mir bei Bedarf einfach ein bestehendes wissenschaftliches Werk suchen, welches Typografie in beispielhaft guter Weise anwendet und mich an diesem orientieren. Den eigenen Blick zu schulen durch Nachahmung von etwas Hervorragendem, das haben schon die alten Meister, respektive deren Schüler, so gemacht. Ich denke, dass die Regeln und typografischen Gepflogenheiten in Lesetypografie und Detailtypografie vollkommen ausreichen, eine solche Aufgabe gut, wenn nicht gar mit Bravour zu lösen. Vielleicht können Bringhurst oder Willberg noch den ein oder anderen hilfreichen Tipp geben, aber dann sollte man auch in der Lage sein, eine typografisch gelungene Arbeit abzuliefern.
 

Ich selber finde es ausgesprochen anregend, eigene gute Lösungen für satztechnische Aufgaben zu finden und dabei bewusst auch die gestalterischen Freiheiten zu nutzen, die uns die Regelwerke lassen. Man muss ja nicht alles zu Tode reguliere –, auch wenn uns Deutschen nachgesagt wird, dass wir daran einen gewissen Gefallen finden. ;-)

  • Gefällt 4
Geschrieben
vor 31 Minuten schrieb tidus89:

Das wenigste würde ich aber als gut bezeichnen.

Auch das ist ein guter Ansatz – wenn man sich selbst zu erklären versucht, was denn eigentlich nicht gut ist, kommt man in der Regel auf die Verbesserung.

  • Beste Antwort
Geschrieben
vor 57 Minuten schrieb tidus89:

Da sollte doch mal jemand kommen und erklären, wie man es besser machen könnte.

Nach meiner Erfahrung ist es in vielen Wissenschaftsbereichen (ich rede jetzt von den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften) schon lange keine Frage des Wissens mehr. Es gibt genügend Leute, die wüssten, wie es besser geht; die kommen aber nicht mehr zum Zuge, weil der finanzielle Druck so groß ist, dass normale Satzarbeit kaum noch möglich ist.

Beispiel: Ein deutschsprachiges Buch eines deutschen Autors in einem deutschen Traditionsverlag (der mittlerweile allerdings zu einem internationalen Konzern gehört). Das Buch wird nicht in Deutschland gesetzt, sondern in Indien – was bedeutet, dass beim Satz mit Vorgaben gearbeitet wird, die möglichst wenige Worttrennungen produzieren, weil die Setzer eben kein Wort Deutsch sprechen und Silbentrennung damit ein Problem darstellt. Das wiederum bedeutet, dass es auf 250 Seiten Text über 40 Seiten mit teils katastrophalen Wortabständen gibt, die der Autor mühselig anmerken muss. Wenn er es nicht tut, tut es niemand, und das Buch erscheint mit zahlreichen fast unleserlichen Passagen. Da kannst Du Typografiebücher schreiben, wie Du willst: es wird nichts an der Praxis ändern.

 

Vielleicht war Wissenschaftstypografie schon immer ein prekärer Bereich, der unter besonderen (ökonomischen) Zwängen stand. Mittlerweile hat sich aber ein Wissenschaftssystem etabliert, das es – zugespitzt formuliert – systematisch verhindert, dass gute Typografie produziert wird. Wenn man das verwegene Ziel verfolgt, die eigenen Gedanken in typografisch ansprechender Form gedruckt zu sehen, muss man sich darauf gefasst machen, es mit einem geradezu typografiefeindlichen System zu tun zu bekommen. Manchmal hilft Geld, das System zu beeinflussen, häufig aber nicht mal das.

  • Gefällt 5
  • traurig 1
Geschrieben

Hinzu kommt der Punkt der Vergleichbarkeit von Arbeiten: Der Grund, warum so oft Times bzw. Arial vorgeschrieben sind. Vierzehn Seiten Text sollen auch vierzehn Seiten Text sein und nicht künstlich aufgebläht mit Georgia oder Verdana (um mal zwei ubiquitäre breit laufende Schriften anzuführen).


Viele Vorschriften oder Gewohnheiten sind im Laufe der Jahrzehnte entstanden und teilweise aus der Not geboren, grad die Juristen fassen sich äußerst ungern kurz, daher wird vom Gericht Schriftgröße, -art und Zeilenabstand vorgegeben, damit nicht eine Partei einen Vorteil erhält, weil sie mehr Text auf den vorgegebenen Seiten unterbringen kann.

Bei Brill kannst Du einen Blick in das Handbuch für Autoren werfen, da wird ein entsprechender Layout-Rundumschlag getätigt.

Matthew Butterick zeigt jedoch mit Typography for Lawyers, dass selbst Iustitia sich bewegen lassen kann, anspruchsvollere Ästhetik zu akzeptieren (ich habe dunkel einen Blogeintrag in Erinnerung, dass sich eine Kanzlei das Recht erstritten hatte, seine Schrift Equity bei Gericht einsetzen zu dürfen).

  • Gefällt 3
Geschrieben
vor 12 Stunden schrieb Phoibos:

Hinzu kommt der Punkt der Vergleichbarkeit von Arbeiten: Der Grund, warum so oft Times bzw. Arial vorgeschrieben sind.

Wenn dann eine Schriftgröße von 12 Punkt und gleichzeitig Arial ODER Times New Roman vorgeschrieben ist, wird es absurd, weil die beiden Schriften ja bei gleicher nomineller Punktgröße sehr unterschiedlich ausfallen.

Ich habe übrigens, wenn ich Hochschularbeiten im Auftrag gesetzt habe, noch niemals die vorgeschriebene Times oder Arial verwendet und auch den vorgeschriebenen Zeilenabstand von 1,5 noch nie exakt eingehalten. Es gab aber bisher noch keine Beanstandung, sondern allenfalls wurde die äußere Form gelobt.

Ein 500-seitiges musikphilosophisches Fachbuch, das bei der renommierten Universal Edition herauskam, ging glatt durch, obwohl ich statt der Times dort eine Garamond verwendet habe.

  • Gefällt 3
Geschrieben (bearbeitet)

Zumal diese Vorgaben doch eher für das Manuskript der Autoren gelten und nicht für die Publikation, oder? (Und natürlich für universitäre Qualifikationsarbeiten.) In einer fertigen Drucksache würden Vorgaben zum Zweck der Vergleichbarkeit meines Erachtens keinen Sinn ergeben. Dass die Verlage und Zeitschriften dennoch ihre eigenen Vorgaben haben, ist klar. Aber das wird ja selten Times New Roman mit 1,5-fachem Zeilenabstand sein. Ich zumindest habe so etwas außerhalb von Qualifikationsarbeiten noch nie gesehen. 

bearbeitet von tidus89
Geschrieben

Ich bin mir gar nichtmal sicher, ob es DIE

vor 16 Stunden schrieb tidus89:

Wissenschafts-Typografie

überhaupt gibt :-?

Das ist doch ein sehr weites Feld: Fachartikel, Fachbücher, Haus- bzw. Abschlussarbeiten und dann noch die Vorgaben der einzelnen Institute und Verlage, wie hier schon angemerkt wurde und die wissenschaftliche Disziplinen (MINT mit vielen Formeln, Geisteswissenschaften mit vielen Zitaten und Auszeichnungen und Fremdsprachen etc.). Wie soll man das auch unter einen Hut bringen :-?

Denn im Endeffekt gilt für Wissenschaft-Typografie doch das gleiche, was für alle anderen Schriftsachen gilt genauso – ausgeglichene Freiräume, keine Bleiwüsten, angenehme Schrift und Schriftmischungen ...

  • Gefällt 3
Geschrieben
vor 11 Minuten schrieb Dieter Stockert:

wird es absurd

So elfenbeinturmig waren die nun nicht, zusammen mit der Schrift wurde die jeweilige Punktgröße ebenfalls mit angegeben.
Ich hatte einen Dozenten, der in der ersten Sitzung, als die Schein-Bedingungen "ausgehandelt" wurden, ein Typometer dem Seminar zeigte und sagte, er könne Schriften unterscheiden und auch ausmessen, wir sollten also besser nicht versuchen, ihn bei den Formalia zu täuschen. Aber das war in einer Zeit, in der die Seminararbeiten noch auf Papier abgegeben werden mussen...

Geschrieben
vor 34 Minuten schrieb Tobias L:

Denn im Endeffekt gilt für Wissenschaft-Typografie doch das gleiche, was für alle anderen Schriftsachen gilt genauso – ausgeglichene Freiräume, keine Bleiwüsten, angenehme Schrift und Schriftmischungen ...

Das sehe ich auch so. Deswegen:

vor 17 Stunden schrieb Diwarnai:

Welche Fragen stellen sich dir denn, die in Lesetypografie und Detailtypografie nicht beantwortet werden?

 

  • Gefällt 2
Geschrieben (bearbeitet)
Am 28.2.2023 um 19:27 schrieb tidus89:

ich suche nach Buchtipps zum Thema Wissenschafts-Typografie. Bestenfalls ein Werk, welches das Thema wirklich erschöpfend beleuchtet. …

Kurze Antwort: solche Literatur gibt es nicht.

 

Lange Antwort: warum eigentlich nicht? –

Die Schnittstelle zwischen Typographie und den Wissenschaften ist eine düstere nebulöse Grauzone, ein blinder Fleck auf der Landkarte unserer Wissenslandschaften. Das liegt zum einen daran, daß das Fach Typographie nie als Wissenschaft anerkannt und entsprechend behandelt wurde. Daran haben leider nicht einmal exzellente Werke wie Detailtypographie oder Lesetypographie  etwas ändern können. Wahrscheinlich hat es vor allem historische Ursachen: bis zum Ende der ›Bleizeit‹ konnten sich alle, die etwas wissenschaftliches publizierten, darauf verlassen, daß fachlich versierte Setzbetriebe den Texten professionell Gestalt gegeben haben. Setzereien gibt es aber nicht mehr und irgendwann hatte jeder Wissenschaftler ›Word‹ als Werkzeug – und die Anforderung, alles schriftlich zu Publizierende selbst herstellen zu müssen. Aber das genannte Programm ist eine elektrische Schreibmaschine, kein elektrischer Setzkasten – welcher Wissenschaftler ist sich dieses Unterschiedes wirklich bewußt? Und alle typographisch ungebildeten Wissenschaftler leiden seither mehr oder weniger unbewußt unter der irrigen Vorstellung, wissenschaftlichen Satz herzustellen, obwohl sie oft nicht einmal zwischen Binde- und Gedankenstrich unterscheiden können. Die akademische Welt hat sich seit 30 Jahren kaum um das Gebiet der Typographie gekümmert oder bemüht. Das einstmals reichhaltige, hoch ausdifferenzierte typographische Wissen spezialisierter Setzer hat niemand in die Sphäre der Gelehrtenstuben hinübergerettet, als die traditionellen Satzbetriebe einer nach dem anderen für immer dahingingen.

Diese Situation hat schließlich auch dazu geführt, daß – vergleichsweise wenige – Wissenschaftler sich nun für das Fachgebiet zu interessieren begannen und sich auf diesem Gebiet eigenhändig weitergebildet haben. Andererseits hat sich die Gilde der Typographen auch nur wenig mit der Materie der wissenschaftlichen Typographie beschäftigt, einfach, weil aus dieser Ecke kaum Aufträge kamen.

Der nächste Punkt ist: die Wissenschaftstypographie gibt es nicht. Ob ich ein mathematisches Lehrwerk, ein Chemiebuch, eine Abhandlung über antike Prosodik, ein Werk über semitische oder altnordische Linguistik, über Ingenierkonstruktion oder über die Musiknation des 14. Jahrhunderts setzen soll – dazwischen liegen Welten. Die Anforderungen sind jeweils so speziell und so komplex, daß niemand ein allumfassendes Werk über diese Typographien erwarten sollte. Ein solches Werk wäre auch kaum jemandem dienlich. Was aber nötig ist, sind fokussierte Arbeiten über die Typographie bestimmter Disziplinen. Soweit ich übersehe, sind hier z.B. die Mathematiker mit entsprechenden Bemühungen recht weit. Auch auf diversen Gebieten der Linguistik hat es in den vergangenen 20 Jahren beträchtliche Fortschritte gegeben, jeweils getrieben durch die Erkenntnis, daß die bis dato verfügbaren Mittel (Programme, Fonts) nicht für alle gestellten Aufgaben ausreichend sind.

Praktisch zielführend wären v.a. Projekte, die bestimmte Disziplinen mit ihrer typographischen Seite zielgerichtet darstellen und weiterentwickelen. Man wird hier also noch lange v.a. auf Spezialliteratur angewiesen sein, auf einzelne und verstreut lokalisierte, nicht selten persönlich motivierte Arbeiten, die man aber erstmal finden muß.

 

bearbeitet von Stötzner
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Geschrieben

Aktuell ist es so, dass wenn man ein Paper einreicht man ein Word-file oder LaTex-Dokument o.ä. hochlädt und das Setzen das Journal übernimmt. Der Autor setzt nichts mehr selbst.

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb JulieParadise:

Warum sollte er auch. Er ist der Autor, nicht der Setzer. 

Eben, vermutlich beschäftigen sich 99% der Autoren gar nicht mit Typographie ...

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb 109:

Aktuell ist es so, dass wenn man ein Paper einreicht man ein Word-file oder LaTex-Dokument o.ä. hochlädt und das Setzen das Journal übernimmt. Der Autor setzt nichts mehr selbst.

Wissenschaftliche Zeitschriften sind noch mal ein eigener Bereich, der sich (zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften) hauptsächlich über Bibliotheksabonnements finanziert, die gut kalkulierbar sind, weshalb viele Zeitschriften tatsächlich vom entsprechenden Verlag gesetzt werden.

Anders sieht es bei Büchern aus. Ganze Buchreihen werden nur noch durch Do-it-yourself-Veröffentlichungen bestritten, wo ein Autor eine Word- (oder wenn er ambitioniert ist, eine InDesign-)Vorlage bekommt und alles selbst »setzt«. Der Verlag prüft Probeseiten; der Rest geht ungelesen an die Druckerei. Und dabei reden wir nicht nur von Wald-und-Wiesen-Verlagen oder Disserationsausspuckunternehmungen, sondern auch von renommierten Verlagen. Wenn man möchte, kann man sich entsprechende Buchreihen im Zusammenhang anschauen und analysieren, wo jemand stumpf eine Wordvorlage abgearbeitet hat, ohne Ahnung von Typografie zu haben, und wo ausnahmsweise mal Geld vorhanden war, um eine Hilfskraft zu finanzieren, die sich rein zufällig mit InDesign und Typografie auskennt. ;-)

  • Gefällt 1
Geschrieben
Am 6.3.2023 um 00:51 schrieb Stötzner:

Wahrscheinlich hat es vor allem historische Ursachen: bis zum Ende der ›Bleizeit‹ konnten sich alle, die etwas wissenschaftliches publizierten, darauf verlassen, daß fachlich versierte Setzbetriebe den Texten professionell Gestalt gegeben haben. Setzereien gibt es aber nicht mehr und irgendwann hatte jeder Wissenschaftler ›Word‹ als Werkzeug – und die Anforderung, alles schriftlich zu Publizierende selbst herstellen zu müssen. ... Das einstmals reichhaltige, hoch ausdifferenzierte typographische Wissen spezialisierter Setzer hat niemand in die Sphäre der Gelehrtenstuben hinübergerettet, als die traditionellen Satzbetriebe einer nach dem anderen für immer dahingingen.

Ich dachte bisher, dass es einen solchen Traditionsbruch (wenn überhaupt) nur bei Notenverlagen gegeben hat, weil die Notensatzprogramme, die Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre aufkamen, zwar für Musiker eine grandiose Innovation darstellten, aufgrund zahlreicher Mängel aber für den professionellen Notenstich nicht geeignet waren. Deshalb haben sich quasi zwei Parallelwelten entwickelt: die Notenstecher, die noch so lange wie möglich Noten von Hand erstellt haben (und sich um Computerprogramme nur selten gekümmert haben), und die Praktiker, die freudig die neuen Möglichkeiten aufgriffen (dabei aber kein detailliertes Wissen um Notenstich hatten). Mit dem allmählichen Aussterben der ersten Gruppe war dann vielerorts tatsächlich eine Tradition abgebrochen, die erst wieder mühsam von der zweiten Gruppe wiederentdeckt werden musste. (Ein besonders spannendes Beispiel ist das Aufkommen neuer Notensymbol-Schriftarten, die in den letzten ca. 10 Jahren entstanden und die Vielfalt früherer Notenausgaben endlich in die digitale Sphäre überführen.)

Im Bereich des (wissenschaftlichen) Buchsatzes war die Entwicklung doch eine andere, oder? Bei jedem Innovationsschritt gab es immer Betriebe und einzelne Setzer, die bisherige Erfahrung und neue technische Möglichkeiten miteinander verbanden. Und im Unterschied zum Notenstich waren die Werkzeuge im DTP schon bald so ausgereift, dass man damit professionelle Ergebnisse erzielen konnte.

Dass Wissenschaftler Word für sich entdeckten, bedeutete zunächst doch nur, dass man nicht mehr mühsam auf der Schreibmaschine tippen musste ... Eine Anforderung, »alles schriftlich zu Publizierende selbst herstellen zu müssen«, ist doch, wenn ich es recht sehe, ein recht neues Phänomen und hat eher mit ökonomischen (und wissenschaftspolitischen) Entwicklungen zu tun, nicht mit einem Traditionsbruch.

  • Gefällt 2
  • 1 Monat später...
Geschrieben
Am 28.2.2023 um 19:27 schrieb tidus89:

Wissenschafts-Typografie.

Nicht haargenau das Thema, aber wie man gute Typografie für Dokumente macht, die allgemein außerhalb der Tätigkeit von professionellen GestalterInnen liegt, behandelt Matthew Butterick (auf englisch): https://typographyforlawyers.com/

Matthew ist Schriftentwerfer und Rechtsanwalt, kennt sich also auf beiden Feldern aus. Die Lektüre lohnt sich für alle, die komplexe Dokumente gestalten

Geschrieben

Ja, Matthew Butterick ist bekannt und seine Online-Ressourcen sind wirklich gut. Ich überlege auch schon länger, mir noch eine weitere Schrift von ihm zu holen. Die Triplicate macht sich in meinen Briefen gut. 

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